Russland Russland: «Trololo»-Sowjetstar feiert im Internet ein Comeback

Moskau/dpa. - Eduard Chil stand mit feuchten Augen vor dem rotenSamtvorgang und konnte es kaum fassen. Hunderte meist jugendlicheBesucher feierten ihn, den 75 Jahre alten Bariton, im MoskauerNachtclub «16 Tonnen» mit minutenlangem Beifall. «Vielen Dank», riefder Russe und stimmte das Lied an, das ihn in den vergangenen Monatendank des Internets zwischen New York und Schanghai berühmt gemachthat: «Ich bin sehr froh, endlich daheim zu sein.» Chil war nach demEnde der Sowjetunion 1991 als Sänger fast in Vergessenheit geraten -nun lässt der Erfolg des Songs, den die Internet-Gemeinde «Trololo»getauft hat, den Bariton sogar über eine Welttournee nachdenken. «AufWiedersehen in Amerika», verabschiedete sich Chil übermütig nach dem90-minütigen Auftritt.
Text fiel der Zensur zum Opfer
Im Oktober 2009 hatte ein Musikfan ein Video von Chil im Internetveröffentlicht. «Es stammt von 1976 aus dem schwedischen Fernsehen»,erinnerte sich der Sänger. In dem dreiminütigen Film schlendert Chilin einem braunen Anzug an einer gusseisernen Dekoration vorbei undsingt ein Lied ohne zusammenhängende Worte. Zwar wurde der Songdamals mit Text komponiert, doch die Zeilen über die «Sehnsucht einesCowboys» wurden gestrichen: «Zu amerikanisch», befanden sowjetischeZensoren. Chil trällert daher nur «Trololo» und «Jajaja», und dieganze Welt trällert heute mit. In einer der vielen Internet-Parodienist der österreichische Oscar-Preisträger Christoph Waltz zu sehen.
«Es ist ein wenig, als ob meine Jugend zurückkehren würde», meinteder 1934 in der westrussischen Stadt Smolensk geborene Chil. «Schade,dass der Komponist Arkadi Ostrowski schon 1967 gestorben ist unddiesen Triumph nicht mehr erleben kann.» Allerdings sieht derrenommierte Bariton den Erfolg mit gemischten Gefühlen. «Frühermussten wir Gesangsunterricht nehmen, Proben überstehen und zuKonzerten durch die ganze Sowjetunion fahren. Heute stellt man bloßirgendein Video ins Internet und ist berühmt. Es ist eine merkwürdigeZeit.»
In der UdSSR war Chil ein gefragter Sänger, doch heute ist er imStaatsfernsehen kaum zu sehen. «Ich bestehe darauf, live zu singen,das wollen viele Sender nicht. Mit Gorbatschows Perestroika (Umbau)kamen andere Idole.» Aber eine gut organisierte Tournee («Von mir ausdurch die ganze Welt») würde er mit seiner Frau Zoja, mit der er seit52 Jahren verheiratet ist, mitmachen. Bis dahin bessere er an seinemWohnort St. Petersburg weiter seine staatliche Grundrente vonumgerechnet 270 Euro mit Gesangsunterricht auf, sagte Chil vor demMoskauer Konzert am Samstagabend im Gespräch mit Journalisten.
In dem 1996 eröffneten Club, der nach dem sozialkritischenBergmannssong «Sixteen Tons» benannt ist, präsentierte Chil für einenEintrittspreis von 1000 Rubel (rund 25 Euro) einen Querschnitt seinesSchaffens. Mit Stimmkraft und Ausdauer meisterte er auch Balladensowjetischer Liedermacher und präsentierte zudem Rocksongs, die er inden 1990er Jahren mit seinem Sohn Dmitri aufgenommen hatte. ImMittelpunkt stand natürlich «Trololo». Auch wenn der «amerikanische»Originaltext heute erlaubt ist: Chil stimmte die «Internet-Version»an, und das Publikum sang «textsicher» mit. Solche Lieder, zu denenauch «Der lachende Vagabund» (1958) von Fred Bertelmann gehört, seienwegen ihrer «positiven Grundstimmung» so beliebt, meinte der Sänger.
Zukunftspläne mit 75 Jahren
«Super Konzert», sagte der 21-jährige Juri nach dem Auftritt, undseine Freundin Swetlana (19) schwärmte: «Mit ihm würde Russland glattden Eurovision Song Contest in Oslo gewinnen.» Doch im Mai, wenn inNorwegen der Sängerwettbewerb stattfindet, steht Chil vor der Kamera:Aufgrund des «Trololo»-Videos gab ihm der kanadische Regisseur DavidCronenberg eine Rolle in seinem Film «A Dangerous Method». Zudemplant Chil eine neue Version des berühmten Songs, diesmal mit Text.«Ich rufe alle Fans auf, mir eine Zeile zu schicken, daraus bastelnwir ein neues Lied», sagte er nach dem Konzert. Einen Titel habe erschon, betonte der Sänger mit dem Seitenscheitel: «Let`s trololo.»