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Ungewöhnliches Projekt Ungewöhnliches Projekt: Hausbesetzung im Oscherslebener Einkaufsmarkt

Von Jan Wätzold 26.06.2003, 17:45

Oschersleben/MZ. - Das Seminar ist gerade erst vier Wochen her. Und mittlerweile weiß Michael Henke aus eigener Erfahrung, wie schwer das in der Praxis unter einen Hut zu bringen ist: Chef sein, nett sein, stark sein, beliebt sein. Seit Anfang Juni ist der angehende Kaufmann im Einzelhandel Hausleiter des "Kaufland"-Marktes in Oschersleben. Gemeinsam mit etwa 80 weiteren Lehrlingen des Unternehmens hat Henke für einen Monat das Zepter in dem täglich von mehreren tausend Kunden besuchten Einkaufszentrum übernommen.

"Azubis führen einen Markt" - das in der Vergangenheit bereits in zwei anderen Filialen erprobte Projekt ist kein billiger Werbegag. Von jenen 50 Frauen und Männern, die normalerweise in der Oscherslebener Niederlassung arbeiten, fehlt dieser Tage jede Spur. Urlaub oder vorübergehende Tätigkeit in einem der anderen Märkte der Region - so lautete das Alternativangebot der Firmenzentrale. "Die meisten haben den Urlaub gewählt", sagt Projektleiter André Schweimer, der mit seinen 33 Jahren derzeit der deutlich älteste "Kaufland"-Mitarbeiter in Oschersleben ist.

Ansonsten wird jeder Posten - vom Lageristen bis zum Chef - ausschließlich von Auszubildenden besetzt. Was Schweimer "eine ideale Standortbestimmung für die Azubis und das Unternehmen" nennt, scheint den aus ganz Ostdeutschland stammenden jungen Leuten jedenfalls Spaß zu machen. Und nicht allein, weil in dieser Woche mit Christina Rau die Ehefrau des Bundespräsidenten den Oscherslebener Markt besuchte, macht sich unter den Lehrlingen Stolz breit. Längst hat es sich herumgesprochen, dass seit Beginn der Aktion der Umsatz im Einkaufszentrum gestiegen ist.

Ganz reibungslos freilich verläuft der für die "Zweit-Belegschaft" nun nicht mehr ganz so ungewohnte Markt-Alltag nur selten. Das gilt für die einfachen Verkäufer wie für die Chefs. "Wir habe auch schon Warenlieferungen falsch kalkuliert", gibt Michael Henke unumwunden zu. Mal sei zu viel, mal zu wenig bestellt worden. Und weil es sich bei dem Projekt eben weder um eine Trockenübung noch um ein Spiel a la Monopoly handele, sei ganz ernsthaft auf die Schwierigkeiten zu reagieren gewesen. Wofür der 19-Jährige nach eigenen Angaben dankbar ist: "Denn mit solchen Problemen muss man ja später auch zurechtkommen."

Ernst wird es für Michael Henke schon in wenigen Tagen. Nach der mündlichen Prüfung, bei der es am kommenden Mittwoch nur noch um das Prädikat "gut" oder "sehr gut" geht, muss der Magdeburger schon wieder Verantwortung übernehmen. Diesmal auf unbestimmte Zeit. Bereits zu Weihnachten, ein halbes Jahr vor Abschluss des dritten Ausbildungsjahres, hatte die Unternehmensleitung dem jungen Mann eine Zusage zur Übernahme gemacht. In der Filiale in Aschersleben soll er in Zukunft als Warengruppenführer für das Lebensmittelsortiment sorgen. Über Henke werden dann nur noch zwei Vorgesetzte stehen - der Warenbereichsleiter und der Hausleiter.

Wie schwer es letzterer hin und wider haben kann, hat der Ascherslebener Neuzugang nun am eigenen Leib zu spüren bekommen. "Einige Dinge sehe ich jetzt anders als vor vier Wochen", sagt Michael Henke. Auch das mit den Chefs und dem Führungsseminar. Es sei eben nicht so leicht, dem Idealbild eines Leiters gerecht zu werden. "Aber versuchen sollte man es Tag für Tag, dann macht die Arbeit auch am meisten Spaß." Egal ob man gerade Chef sei oder eben Azubi.