Schienenverkehr Schienenverkehr: Bahnlinie Halle-Bitterfeld mehr als ein Jahr gesperrt
Halle (Saale)/MZ. - Die Bahn entschied am Mittwoch, statt einer Reparatur der Schäden die Strecke mit einem Millionenaufwand komplett zu sanieren und für Tempo 200 aufzurüsten.
Jörg Sandvoß macht aus der Not eine Tugend: "Nach Abschluss der Kompletterneuerung", sagt der bei der DB Netz AG für Vertrieb und Fahrplan zuständige Vorstand, "steht die Strecke unseren Kunden deutlich früher als ursprünglich geplant mit einer von 160 auf 200 Stundenkilometer erhöhten Geschwindigkeit zur Verfügung." Das stimmt zwar, denn eigentlich sollten die Schienen zwischen Halle und Bitterfeld erst 2015 saniert und für höheres Tempo aufgerüstet werden - wenn auch die ICE-Schnellfahrstrecke Erfurt-Halle fertig ist. Dass die Bahn das Projekt jetzt vorzieht, ist aber alles andere als freundlicher Dienst am Kunden. Sondern purer Zwang.
Denn die Schäden an der wegen durchgerosteter Schwellen auf einem 15 Kilometer langen Abschnitt gesperrten Strecke sind offenbar so groß, dass bloße Reparaturarbeiten nicht ausreichen. In den vergangenen Tagen hatte die Bahn schadhafte Schwellen ausgetauscht. So sollte wenigstens wieder ein Gleis mit reduziertem Tempo befahrbar gemacht werden. Der Plan habe sich als "technisch nicht umsetzbar" erwiesen, sagt ein Bahnsprecher. Nach MZ-Informationen hat sich diese Variante nach genauerer Prüfung als nicht betriebssicher genug herausgestellt.
Komplett saniert werden soll nach Bahn-Angaben nun die gesamte Strecke zwischen Halle und Bitterfeld, nicht nur der schadhafte Abschnitt - damit man 2015 nicht noch einmal anfangen muss. Gerechnet wird mit Kosten von bis zu 100 Millionen Euro. Mit offiziellen Angaben hält der Konzern sich indes zurück, das gilt auch für die Dauer der Arbeiten. "Ich bin überzeugt, dass die Bahn nicht vor Jahresende 2013 fertig ist", sagt Verkehrsminister Thomas Webel (CDU). Bis dahin werden Regional- und Fernzüge über Delitzsch umgeleitet. Mehrere Orte im Saalekreis und im Kreis Anhalt-Bitterfeld werden von Bussen statt Zügen bedient.
"Lamentieren hilft nicht mehr"
Webel hat sich offenbar in sein Schicksal gefügt, nachdem er bisher noch eine schnelle Freigabe der Verbindung verlangt hatte. Die Totalsanierung sei "die logische Konsequenz" aus den Schäden, so der Minister: "Lamentieren hilft nicht mehr." Die Bahn müsse nun zusehen, dass sie zügig ausschreibe und baue. Schließlich müsse bei Großprojekten dieser Art immer damit gerechnet werden, dass unterlegene Bieter Einspruch einlegten. Nach MZ-Informationen überlegt die Bahn aber, den Auftrag in einzelne Pakete zu zerlegen, die dann nicht ausgeschrieben werden müssten. Das dürfte bei der geschätzten Bausumme jedoch schwierig werden: Die Grenze für europaweite Ausschreibungen liegt bei fünf Millionen Euro.
Wie bundesweit üblich, will die Deutsche Bahn die Schienen auf der Strecke künftig auf Betonschwellen verlegen. "Es sind noch einige technische Fragen zu klären, aber darauf läuft es hinaus", sagt ein Sprecher. Die nun durchgerosteten Schwellen waren Teil einer Technologie, die das Unternehmen Mitte der 90er Jahre zwischen Halle und Bitterfeld erstmal erprobt hatte. Dabei waren Y-förmige Stahlschwellen auf Asphalt verankert worden, um einen geringeren Unterhaltungsaufwand und einen höheren Fahrkomfort zu erreichen. Auf den Schwellen zwischen den Gleisen lagen schalldämmende Abdeckplatten.
Schienen in der Luft
Dieses Verfahren begünstigte offenbar den Rostfraß: "Wie in einem Trog steht das alles dauernd im Wasser", so ein örtlicher Bahnmitarbeiter gegenüber der Nachrichtenagentur dapd. Gutachter des Eisenbahnbundesamtes (EBA) stellten demnach fest, dass die Schienen an besonders beschädigten Stellen geradezu in der Luft hingen. Bei darüber fahrenden Zügen wäre im schlimmsten Fall Gleisbruch die Folge gewesen. Anfang August ließ das EBA die Strecke daher sperren.