1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landkreis Harz
  6. >
  7. Ist ein junger Mann schuldunfähig?

Angriff und Beleidigung in Blankenburg Ist ein junger Mann schuldunfähig?

Im Prozess am Landgericht Magdeburg wird entschieden, ob ein Halberstädter psychisch krank und damit schuldunfähig ist.

08.04.2021, 15:00

Magdeburg/Halberstadt

„Er befand sich durchgehend in aggressiver Grundstimmung“, sagt ein Krankenpfleger, „Die Wohnung glich einem Schlachtfeld. Alles war kaputt“, gibt ein Bundespolizist am Mittwoch vor dem Landgericht Magdeburg zu Protokoll. Beide sind Zeugen in einem Prozess, bei dem es für den 22-jährigen Beschuldigten um viel geht.

Es bestünden, so das Gericht, Anhaltspunkte dafür, dass der Halberstädter aufgrund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig sei. Das bedeutet: Sollte er schuldunfähig sein, ihm die Taten nachgewiesen werden und er für die Allgemeinheit gefährlich sein, kommt eine dauerhafte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht. Am ersten Prozesstag wurde der Mann aus dem Maßregelvollzug vorgeführt, wo er bereits vorläufig untergebracht ist.

Die Staatsanwältin wirft dem ledigen Deutschen verschiedene Straftaten vor, die er gegenüber Beamten der Bundes- und Landespolizei und medizinischem Personal im Halberstädter Ameos- und Blankenburger Harzklinikum begangen haben soll.

Junger Mann hatte Bettteile, Tastatur und Bierflasche vom Balkon geworfen

Am 5. Oktober vergangenen Jahres warf der Angeklagte Bettteile und Glas, eine Tastatur, eine Bierflasche und weitere Dinge von seinem Balkon in der Halberstädter Bahnhofstraße. Eine Bürgerin alarmierte das Bundespolizeirevier nebenan, die Beamten riefen ihre Kollegen von der Landespolizei, nacheinander rückten sie an.

Sie sperrten die mit Splittern übersäte Straße und schickten neugierige Passanten aus dem Gefahrenbereich. Der 22-Jährige schmiss Chinaböller in Richtung der Polizisten. „Es war mir egal, ob ich sie treffe und ob sie explodieren“, sagt er vor der 2. Strafkammer des Landgerichts.

Ein Polizeioberkommissar konnte sich nur mit einem Sprung zur Seite vor dem anfliegenden Böller retten. In der Wohnung wurde eine komplette Packung sichergestellt. Der Angeklagte habe außerdem gedroht, eine Waffe einzusetzen, erinnert sich ein Bundespolizist. Gefunden habe man bis auf eine Softair-Ausführung davon nichts. Es gab viel Geschrei und Beschimpfungen, aber keine Chance, von unten etwas zu unternehmen, schildert der 23-jährige Beamte.

Mit zwei Kollegen klingelte er bei allen Hausbewohnern, dann standen sie vor der Wohnungstür des Angeklagten. Er ließ sie nicht ein, machte Radau, warf den Schlüssel durch ein Loch in der Wohnungstür, damit die Polizei in die Wohnung kommen konnte. Dann entschied er sich um, verbarrikadierte die Tür mit einem Plastiktisch und zerschlug mit einer Latte das Oberlicht.

Splitter trafen dabei den Bundespolizisten. Als die Polizei Pfefferspray einsetze, konnte die Tür geöffnet werden. Der Wohnungsinhaber spuckte, trat und schlug um sich, beleidigte die Einsatzkräfte und setzte Kopfstöße an. „Ich war von der Polizei angepisst“, sagt er vor Gericht.

Die Vorsitzende Richterin Anne-Marie Seydell und ihre beiden Richterinnen haben Filmaufnahmen der Body-Kamera eines Polizisten vom Tatort gesichtet. „Es war ein großes Durcheinander. Die demolierte Wohnung sah wüst aus“, so Seydell.

Das Krankenhaus-Personal musste den Mann im Schockraum fixieren

Dass der Angeklagte „angepisst“ war, erlebte im Halberstädter Klinikum ein 34-jähriger Krankenpfleger ebenso, nachdem ein Rettungswagen den Angeklagten dort eingeliefert hatte. „Über Facebook hatte sich der Vorfall in der Bahnhofstraße schon rumgesprochen, sodass ich wusste, wer da kommen wird“, so der Pfleger vor Gericht. Im Schockraum musste das Krankenhaus-Personal den Mann fixieren. Vorher hatte er zweimal in Richtung des Kopfes des Krankenpflegers getreten.

Der Angeklagte will sich vor dem Landgericht „vom Pfefferspray bis zum nächsten Morgen“ an nichts erinnern. „Alles außer der Ameos-Sache war so“, sagt er am Mittwoch.

Vorgeworfen wird ihm noch ein weiterer Anklagepunkt. Im psychiatrischen Krankenhaus hat er einen Monat später mit einem Ledergürtel nach einer Ärztin geschlagen. „Ich sollte entlassen werden und wollte nicht gehen. Mir war nicht danach“, schildert er sein Verhalten. Dass er einen der herbeigerufenen Polizisten mit einem Feuerzeug anzünden wollte, bestreitet er. „Ich habe es mir nur selbst ans Gesicht gehalten.“

Zwischenzeitlich lehnt der Angeklagte ab, auf Fragen der Vorsitzenden Richterin Anne-Marie Seydell zu antworten. Er habe keine Erinnerung daran, dass er Polizisten verletzt habe.

Am Donnerstag sollen ab 9 Uhr die Ärztin, nach der er im Harzklinikum mit dem Ledergürtel geschlagen hat, sowie acht weitere Zeugen gehört werden. Die 2. Strafkammer wird außerdem einen Sachverständigen zu Wort kommen lassen. Mit einem Urteil wird zum 3. Mai gerechnet. (mz/uk)