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Frisch auf den Tisch Von Auster bis zur Tabakspfeife: Was bei Ausgrabungen im Schloss Zerbst gefunden wurde

Archäologen haben von August bis Oktober 2021 im Zuge einer „Rettungsgrabung“ aus den östlichen Kellerräumen des 1945 zerstörten Mittelbaus des Zerbster Schlosses viel Überraschendes entdeckt. Auch Stücke aus der Kindheit der Zarin Katharina gehören dazu.

Von Christian Eger Aktualisiert: 26.10.2021, 12:57
Austern aus der fürstlichen Hofhaltung: Archäologin Dietlind Paddenberg präsentiert Küchenreste aus dem Kellergewölbe des Schlosses Zerbst. Im Hintergrund der 1945 teilzerstörte Ostflügel der Anlage.
Austern aus der fürstlichen Hofhaltung: Archäologin Dietlind Paddenberg präsentiert Küchenreste aus dem Kellergewölbe des Schlosses Zerbst. Im Hintergrund der 1945 teilzerstörte Ostflügel der Anlage. (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Zerbst/MZ - Mit dem Zerbster Hochadel mag nicht immer gut Kirschen essen gewesen sein, aber gut Austern schlürfen schon. Eimerweise, sagt Dietlind Paddenberg, habe man die offenbar bei Hofe gern gegessenen Muscheln aus dem Schutt gezogen, mit dem einst der Grund der alten Zerbster Schlossküche verfüllt worden war. Drei private Salatschüsseln hatte die Archäologin am Mittwochmittag aus Halle nach Zerbst mitgebracht, um sie mit den Muschelschalen zu füllen, die vom großen Fressen übrig geblieben sind.

Kalte Küche: Wie auf einer langen Tafel wurden vor der Teilruine des Ostflügels des Zerbster Schlosses die Funde ausgebreitet, die von August bis Oktober 2021 im Zuge einer archäologischen Rettungsgrabung aus den östlichen Kellerräumen des 1945 mit dem Westflügel zerstörten Mittelbaus, dem Corps de Logis, gehoben wurden. Sozusagen frisch auf den Tisch: Funde von der Bronzezeit bis zum 20. Jahrhundert. Darunter die fürstlichen Austern.

Der Förderverein Zerbster Schloss hat hier seit 18 Jahren schon Erstaunliches geschafft

Wobei diese im 17. und 18. Jahrhundert auch ein Arme-Leute-Essen waren, mit dem einen Unterschied: Die kleinen Leute aßen die kleinen, die großen Leute die großen Austern. Und zu den großen Leuten gehörten die Eigentümer der von 1681 an errichteten dreiflügeligen barocken Schlossanlage: nacheinander die Fürsten Karl Wilhelm, Christian August und Friedrich August von Anhalt-Zerbst. Christian August war der Vater der Prinzessin Sophie Auguste Friederike, die als Zarin Katharina weltberühmt wurde.

Katharinas Name fiel des öfteren am Mittwoch. Oft genug, um sich selbst bei bei der Frage zu erwischen, ob denn nicht vielleicht Gazprom die entscheidenden Millionen liefern könnte, um den Schlossflügel endgültig in den Zustand zu versetzen, auf den alle warten. Der von Dirk Herrmann geleitete, überaus aktive Förderverein Zerbster Schloss hat hier seit 18 Jahren schon Erstaunliches geschafft. Hat gesichert, teilsaniert, geforscht und bespielt, um den Bau in den Zustand zu bringen, den er verdient - als ein Beispiel qualitätvoller mitteldeutscher Residenzschlossbaukunst.

Teil eines Reliefs: Frauenkopf aus Sandstein
Teil eines Reliefs: Frauenkopf aus Sandstein
(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentra)

Erstmals nach über 70 Jahren konnten jetzt die zwei weiß verputzten, heute leicht mit Algen überzogenen Kellerräume betreten werden

Eine aus dem Schutt geborgene gusseiserne Kaminplatte mit den Initialen der Eltern Katharinas gehört jetzt zu den starken aktuellen Funden. Sie zeigt „CA“ für Christian August und „JE“ für Johanna Elisabeth von Holstein-Gottorf. Allerdings kann sich Katharina, wenn überhaupt, höchstens ein Jahr lang - 1742 - vor dieser Platte gewärmt haben. Dann ging es für die 14-Jährige schon zur Verheiratung nach Moskau.

Der Anbau eines Fahrstuhls an den nördlichen Teil des Ostflügels - am Übergang zum verschwundenen Mittelbau - machte die Schachtarbeiten notwendig. Bis in sieben Meter Tiefe unter der heutigen Bodenkante wurden zwei vormalige Kellerräume und ein Teil des Kellerganges freigelegt. 260 Quadratmeter, deren Aushub gesichtet wurde.

Erstmals nach über 70 Jahren konnten jetzt die zwei weiß verputzten, heute leicht mit Algen überzogenen Kellerräume betreten werden, die mit der Sprengung der Mitteltraktruine 1948 zugeschüttet worden waren. Offenbar wurden die Keller- zuletzt als Luftschutzräume genutzt. An den Wänden finden sich Bleistiftnotizen: das Datum „21.4.1943“ und der Hinweis „Stadthalle, Leiter, 10m Leiter, Friedhof, Seiten Schippe“. Seit Juni 1940 waren in Zerbst 341 Fliegeralarme gezählt worden. Zerstört wurden - mit dem Schloss - rund 80 Prozent der Zerbster Innenstadt bei dem Bombenangriff am 16. April 1945 und einem tagelangen Beschuss. Einschusslöcher zeigt auch noch der Restputz am Ostflügel.

Die Kellerräume werden wieder verfüllt, was gefunden wurde, dokumentiert und deponiert

Die Kellerräume werden wieder verfüllt, was gefunden wurde, dokumentiert und deponiert. Das sind neben zwei weiteren großen Kaminplatten, von denen eine die Darstellung der Venus zeigt, vor allem Reste von Tafel- und Küchengeschirr, einige Ofenkachelfragmente, zu denen aus Zerbster Fayence gearbeitete Fliesen gehören. Weiße, langstielige Tabakspfeifen aus Ton liegen aus, wie sie vor 1800 oft zu finden waren.

Münzen, zu denen ein kupferner Nürnberger Rechenpfennig und ein silberner Dreier von 1676 gehören, wurden entdeckt. Gut möglich, dass einige Teile zum Anhaltischen Landesmuseum gehörten, das 1921 im Mitteltrakt des Schlosses eröffnet wurde. Ein vorbarocker, aus Sandstein gearbeiteter Frauenkopf gehört zu den schönen Funden. Die ältesten sind eine wohl bronzezeitliche Scherbe und eine slawische Keramik, die aus dem tiefsten Grund geborgen wurden. Letztere ist ein Hinweis auf die Theorie, wonach die Zerbster Schlossbauten auf einer slawischen Wasserburg errichtet worden sein sollen, die bereits vor 1196 durch die Askanier umgebaut wurde.

Was fehlt, wäre ein landes- oder bundespolitischer Ruck

Und die Zukunft? Wann wird der Ostflügel als Schloss Zerbst vollendet sein? Gute Frage, sagt Christian Keck, Vize-Vorsitzender des Fördervereins Schloss Zerbst. Als man im Jahr 2003 die Rettung begonnen hatte, sagt er, hatte man nur ein Ziel gehabt: „Es darf nicht schlimmer werden“.

Daraus wurde viel mehr als das. Das Dach ist dicht, Fenster sind eingesetzt, ein Museum eingerichtet, die Räume mit illusionistischen Interieur-Darstellungen dekoriert, eine Aussichtsplattform wurde installiert, das Standesamt ist bereits eingezogen. Zwei Millionen Euro werden jetzt in den Fahrstuhlbau investiert.

Gusseiserne Kaminplatte:  Darstellung der Venus
Gusseiserne Kaminplatte: Darstellung der Venus
(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentra)

Was fehlt, wäre ein landes- oder bundespolitischer Ruck, um die schöne Zerbster Ruine, die noch immer so groß ist wie ein eigenständiges Schloss, in einem Zuge zu vollenden. Ein Baueinsatz, der nicht nur das Teilschloss, sondern auf einen Schlag den Schlossgarten und die Schlossfreiheit als ein zusammenhängendes Residenzstadtensemble wieder erlebbar machen würde.