Rückblick Rückblick: Spruchbänder für den 1. Mai waren eine Pflichtaufgabe

Anlässlich des 30-jährigen Bestehens seiner Werbefirma schrieb Bernd Blumenstein einen lesenswerten Rückblick. Wir drucken ihn hiermit in weiten Passagen ab.
1986 ist es endlich soweit: Bernd Blumenstein erhält die Gewerbegenehmigung zur „Eröffnung eines Werbegestalterhandwerksbetriebes“ durch den Rat des Kreises Naumburg. Damit ist der Grundstein für den Werbebetrieb Blumenstein gelegt. Doch dass aller Anfang schwer ist, muss auch Bernd Blumenstein recht schnell erkennen, war die Gewerbebescheinigung zur Eröffnung eines eigenen Ladens in der DDR an nicht wenige sozialistische Auflagen gebunden. So müssen Dienstleistungen im Wert von 15000 Mark pro Jahr an Vater Staat erbracht werden, beispielsweise durch Plakate, Messetafeln, Losungen für Parteien und Massenorganisationen wie die FDJ. Weiterhin Spruchbänder für den 1. Mai, um die „Erfüllung der Planwirtschaft“ zu gewährleisten. Das Beschäftigen fremder Arbeitskräfte war verboten, jemanden offiziell zur Unterstützung einzustellen also unmöglich. Und gerade auch das Eröffnen eines Werbegeschäftes stellt Blumenstein vor ein Problem, denn Begriffe wie Werbung und Reklame sind für den antiwestlichen
DDR-Staat unzumutbar. Trotzdem schaffte er es, als erster ein Werbeunternehmen im Bezirk Halle zu etablieren. So entsteht also die Schrift- und Werbegestaltung Blumenstein mit eigenem Logo, Visitenkarten und einem Stempel (aus dem Westen selbstverständlich). Die erste Werkstatt befindet sich noch beengt im Keller des eigenen Hauses. Dann der erste Auftrag: Im Rahmen des XI. Parteitages soll eine Jugendmodeboutique in Naumburg entstehen, „modern, poppig, mit vielen Lichteffekten, das fetzt“: das „Zuck“ in der heutigen Herrenstraße. Bernd Blumenstein unterstützt die Konsum-Genossenschaft bei der Gestaltung mit plastischen Buchstaben, zu dieser Zeit eine Innovation! Nun erfolgt die Nachfrage nach Produkten und Design von allen Seiten, auch weit über Naumburg hinaus.
Neben der Ausstattung privater Firmen, russischer Streitkräfte („Russenmagazin“) und der sozialistischen Mustermessen kommt der bis dato größte Auftrag von der DDR-eigenen Fluglinie „Interflug“, die plastische Buchstaben für den Schalterbereich an Flughäfen bestellt, die sogar bis nach Peking geliefert werden. Nach langem Ringen mit den „staatlichen Organen“ durfte Blumenstein 1987 eine erste Mitarbeiterin anstellen. Im Herbst 1989 eröffnen sich für die gesamte Bevölkerung neue Möglichkeiten, und der Schwung der Wende bringt auch Veränderungen für die Firma: Die Kellerwerkstatt wird zu eng für die ganzen Aufträge, und so wird kurzerhand das Wohnzimmer ausgeräumt und zum Copy-Shop umfunktioniert – die Menschenschlange reicht bis auf den Bürgersteig. Die erste Fahrzeuggestaltung findet noch mit Pinsel und Farbe statt, Schlüsselkästen werden bedruckt, ganze Kaufhäuser und Jahrfeiern werden ausstaffiert. Der Bad Kösener Jugendclub „Zur Katze“ erhält ebenso einen Aufsteller wie viele neu gegründete Firmen – mit selbst gestalteten Buchstaben und entworfenen Logos. Die Naumburger Straßenbahn wird von nun an mit regenbogenfarbener Beschriftung verschönert. Weitere Mitarbeiter sind vonnöten, um die Aufträge fertigzustellen. Im Oktober 1990 hat dann das letzte Warten ein Ende: Nach neun langen Jahren bekommen die Blumensteins endlich ein eigenes Telefon. Ein Jahr später eröffnet die erste eigene Filiale in Weißenfels. Sie gleicht anfangs einer Ruine. Zugeklebte Fenster, die Farben in DDR-Einheitsgraubraun, brüchige Fassaden und abblätternder Putz. Mit viel Mühe, Zeit und Geld eröffnet die Filiale in neuem Glanz, nebenbei steigen die Werbeaufträge weiter an. (hbo)