30 Jahre Mauerfall 30 Jahre Mauerfall: MZ sucht Zeitzeugen der Wendezeit

Sangerhausen - 30 Jahre ist er jetzt her, der Wende-Herbst in der DDR. Bereits im Sommer hatte eine Flüchtlingswelle über Ungarn in den Westen begonnen. DDR-Bürger besetzten die Botschaft in Prag, um ihre Ausreise zu erzwingen. Schon seit der Kommunalwahl im Mai brodelte es in der kleinen Republik.
Immer mehr Menschen begehrten auf, die Staatsmacht wankte. Am 9. November 1989 fiel schließlich die Mauer zwischen den deutschen Staaten. Als am Abend die Grenzübergänge in Berlin geöffnet wurden, strömten die Menschen in den westlichen Teil der Stadt.
Keine Gewalt!
Im Oktober 1989 war es der Ruf „Keine Gewalt!“, der auf den Straßen in der DDR widerhallte. Zuerst in Leipzig und dann nach und nach in der ganzen Republik gingen die Menschen auf die Straße.
Bürgerinitiativen gründeten sich wie der Demokratische Aufbruch oder das Neue Forum. Es wurde über Umweltschutz debattiert, über Reisefreiheit, die Versorgung der Bevölkerung und über Pressefreiheit.
Die Wende in Sangerhausen hat wohl am 16. Oktober 1989 so richtig begonnen - in den Gemeinderäumen der evangelischen Kirche an der Alten Promenade. Eine Gruppe von rund 40 Personen soll sich damals dort getroffen haben.
Zur ersten Diskussionsveranstaltung in die Jacobikirche, am 24. Oktober, kamen bereits zehnmal so viele Menschen. Keine 24 Stunden zuvor war das Neue Forum in Sangerhausen gegründet worden.
Damals zu fotografieren, als die Menschen im Herbst 1989 auf die Straße gingen, kann man durchaus mutig nennen. Unter die Demonstranten hatten sich auch Angehörige der Staatssicherheit gemischt.
Dass es dennoch Fotografien der ersten Versammlungen und Demonstrationen in Sangerhausen gibt, ist Wolfgang Steffen zu verdanken, der schon damals Leiter der christlichen Buchhandlung „St. Michael“ in Sangerhausen war.
Er ging mit seiner Kamera auf die Straße und in die Kirche und hielt die geschichtlichen Ereignisse, die ein ganzes Land verändern sollten, in Bildern fest.
Hilfloser Staatsapparat
In den Dokumenten, die im Kreisarchiv lagern, kann man nachlesen, wie hilflos die Staatsorgane im Umgang mit den Bürgerprotesten waren. Da sind dann Nebensächlichkeiten wichtiger gewesen als die Anliegen der Demonstranten.
Ein Beispiel? Als Zeichen der Gewaltlosigkeit führten die Demonstranten brennende Kerzen mit und stellten sie am Gebäude der SED-Kreisleitung ab. Am Tag danach wurde die Demo ausgewertet.
Ein Kritikpunkt: Kerzenwachs hatte die Fassade der Kreisleitung verunreinigt. Die Organisatoren vom Neuen Forum sollten fortan darauf achten, dass dies nicht wieder passiere, der Brandschutz eingehalten werde und die Kerzen künftig nicht mehr in Fenstersimsen und auf Mauern abgestellt werden.
Zum Dialog aufgefordert
Den Demonstranten waren aber ganz andere Sachen wichtig. „Wir sind besorgt um unser Land. Es befindet sich in einer tiefen Krise“, heißt es in einem Aufruf des Neuen Forums, der damals in der gesamten DDR öffentlich gemacht wurde.
Sie riefen auf zur Mitarbeit, um Fragen der Medienpolitik, Kommunalpolitik, Ökologie, Kultur, Bildung, des Gesundheitswesens und der Rechtssicherheit anzusprechen und zu klären. Offen über Missstände reden zu können, war damals das wichtigste Anliegen.
Neben dem Neuen Forum gründete sich auch die Sozialdemokratische Partei wieder - am 7. Oktober 1989 in Schwante bei Berlin. Einen Monat später gab es auch in Sangerhausen wieder die SPD, wie man dem Rat des Kreises in einem Schreiben vom 14. November 1989 mitteilte.
(mz)