1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Naumburg
  6. >
  7. Interview: Interview: "Wir suchen weiterhin nach Unterkünften"

Interview Interview: "Wir suchen weiterhin nach Unterkünften"

19.02.2015, 08:01
Auch Elisabeth und Temesgen Tilarun aus Eritrea leben seit Dezember in der Weißenfelser Straße.
Auch Elisabeth und Temesgen Tilarun aus Eritrea leben seit Dezember in der Weißenfelser Straße. Torsten Biel Lizenz

naumburg - Man kennt die Bilder leider aus dem Fernsehen: Demonstranten, die sich bei Pe- oder Legida vor etwas fürchten, was sie nicht einmal richtig artikulieren können. Oder weitaus größere Idioten, die maskiert und mit Fackeln schwenkend vor einem Dortmunder Asylbewerberheim auftauchen.

In Naumburg hingegen herrscht Ruhe. Der 24-Stunden-Wachschutz in den zwei „Qualifizierten Gemeinschaftsunterkünften“, wie die Asylbewerberheime in der Weißenfelser Straße im Amtsdeutsch heißen, hat nicht viel zu tun. Höchstens, dass sie mal den Bewohnern helfen, einen Arzt zu rufen, oder, dass sie die Fragen von neugierigen Nachbarn beantworten. Etwa, warum letzte Woche die Polizei vor Ort war. Reiner Routinebesuch. Ohne Anlass, erfahren sie.

48 Menschen, vor allem aus den afrikanischen Ländern Eritrea und Guinea-Bissau, aber auch acht Inder und eine syrische Familie leben in den zwei ehemals weitgehend leer stehenden Häusern. Die Einrichtung ist sehr einfach, aber ausreichend. „Very nice“, beschreibt der 32-jährige Inder Jhony Shirade seinen Aufenthalt. Arbeiten würde er gerne. Aber das verbietet ihm das Gesetz noch.

Was sie jedoch tun können, ist, die deutsche Sprache zu lernen. Viele der 48 Bewohner zeigen dabei viel Ehrgeiz, wie Beatrice Jauch einschätzt. Als Sozialpädagogische Betreuerin ist sie montags bis freitags 40 Stunden lang im Haus Ansprechpartnerin. „Es haben sich richtige Lerngruppen gebildet, in denen am Nachmittag freiwillig weitergeübt wird“, sagt sie. Da die Wohnungen, in denen meist acht Menschen in zwei Schlaf- und einem Wohnzimmer samt Küche und Bad untergebracht sind, nach Herkunft unterteilt sind, blieben aber die Nationen meist für sich. Man lässt sich in Frieden. „Die Lage in der Weißenfelser Straße ist sehr ruhig. Es gibt keinerlei Scharmützel, weder untereinander noch mit Fremden“, sagt Kreisordnungsamtsleiter Rudi Gollmann.

Gleiches kann Gollmann über seinen Wohnort Eckartsberga und die dortige Gemeinschaftsunterkunft berichten. 60 Asylbewerber leben darin. Gollmann: „Und es funktioniert.“ Am Anfang habe es, natürlich, Missverständnisse gegeben. „Da haben die Syrer nicht gewusst, dass man im Supermarkt die Sachen in einen Wagen legen muss und nicht einfach bis zur Kasse in die Tasche stecken darf.“ Aber das habe sich gelegt. „Straftaten sind mir nicht bekannt.“

Da Gollmann in Gesprächen mit Einwohnern des Kreises des Öfteren mit Bedenken und Vorurteilen umgehen muss, freut ihn auf der anderen Seite die Hilfsbereitschaft und das Engagement einer wachsenden Anzahl von Mitbürgern. Viele Sach- und Kleiderspenden sind beim Kreis und beim Internationalen Bund eingegangen. Bemerkenswert auch, dass sich immer öfter auch Menschen finden, die Zeit für die Besucher aus Afrika und Asien aufbringen. Ehrenamtliche, die mit den Asylbewerbern zum Arzt oder zu Behörden gehen, mit ihnen Sprachen lernen.

Einer von ihnen ist der Naumburger Andreas Schröder. Der 56-Jährige, der im Luisenhaus als Altenpfleger arbeitet, schaut fast täglich in der Weißenfelser Straße vorbei. Dann trifft er sich mit den Indern, spricht mit ihnen, lernt mit ihnen Deutsch, isst mit ihnen. Vor allem aber geht er mit ihnen und manchmal auch mit einigen Eritreern, auf Wanderschaft durch die Saale-Unstrut-Region. Im Dom war er mit ihnen, auf Schloss Neuenburg, in Schulpforte, auf Streifzug durch den Bürgergarten und einiges mehr. Schröder: „Ich bin sehr an Religionen interessiert, bin offen und kontaktfreudig. Und als ich im Dezember im Rewe die Inder sah, habe ich sie gleich begrüßt.“

Nach dem Grund, warum sie hierhergekommen sind, bohrt er nicht nach. „Ich will, dass sie einen positiven Eindruck von Deutschland gewinnen. Und zugleich ist das für mich eine Bereicherung“, sagt Schröder, der allen Menschen und Institutionen dankt, die sie bei den Touren unterstützen. Etwa, als ihnen ein Großjenaer ganz spontan die Kirche für einen Besuch aufschloss. Oder, als sie im Kreuzgang von Schulpforta bewirtet wurden. Oder, als ein katholischer Pfarrer die Inder trotz aller Religionsdifferenzen jüngst segnete.

Auf Andreas Schröder angesprochen, nicken und lächeln Jhony Shirade und seine Zimmergenossen. Sie scheinen seine Integrationsbemühungen sehr zu schätzen. Noch lieber wäre es ihnen aber, sie dürften hier bleiben, arbeiten und eigenes Geld verdienen.

Jhony (r.) und seine Zimmergenossen
Jhony (r.) und seine Zimmergenossen
Biel Lizenz