Historie Historie: Wechsel der Grafen

Die aktuelle Bevölkerungsstatistik für das Dörfchen Dietrichsroda lässt aufhorchen. Zu den 78 Einwohnern mit einem Durchschnittsalter um die 32 Jahre gehören 20 Kinder, fünf Auszubildende und lediglich zehn Rentner. Exakt die Hälfte der Dietrichsrodaer steht im Berufsleben. Mit sechs Dienstleistungs- und Handwerksbetrieben, darunter einem Biohof-Landwirt, ist auch die wirtschaftliche Basis beachtlich. Bürgermeister Arno Krause und Gemeinderätin Gabriele Ziegler können mit Recht stolz auf ihren jungen Ortsteil der Gemeinde Balgstädt sein.
Aktives Kultur- und Vereinsleben
Doch was macht so einen kleinen Ort ohne Schule oder Kindertagesstätte, abseits der großen Straßen, für den Zuzug junger Familien so attraktiv? Beide nennen einige der Vorzüge: Es gibt guten und ausreichenden Wohnraum, ein sehr aktives Kultur- und Vereinsleben, dessen Träger der Heimat- und Feuerwehrverein sowie die Mitglieder der Feuerwehr sind, und es ist das gute generationsübergreifende Miteinander unter den Bewohnern. Hinzu kommen gewachsene Familienstrukturen. Kinder und Enkel haben die Höfe ihrer Großeltern und Eltern mit deren Unterstützung als ausbaufähigen lukrativen Wohnstandort entdeckt. Geschätzt werde aber auch, dass hier jeder jeden kennt und Kinder unbedenklich draußen oder bei den Nachbarn spielen können. Da werde schon mal eine größere Entfernung zum Arbeitsort in Kauf genommen.
Begrüßung für die Neugeborenen
Für viele sei es indes auch eine Selbstverständlichkeit, im Interesse des Gemeinwohls in Dietrichsroda anzupacken. Dazu gehören Vorbereitungen auf Feste - wie das Setzen der Osterkrone auf den Dorfbrunnen, das Aufstellen des Maibaumes zum Maifest, die Organisation von Kindertag, Männertagsfeier, Traktorentreffen, die jährliche Sternwanderung aller Balgstädter Ortsteile, Fasching und Kirmes. Letztere werden in der idyllisch, etwas auswärts im Wald gelegenen Gaststätte „Zur Windmühle“ gefeiert, die von der Familie Kamella bewirtschaftet wird. „Wir müssen da nie lange fragen und bitten“, bestätigen Vereinsvorsitzender Klaus Göhle sowie Lutz Wolf, Leiter von 14 Aktiven der Feuerwehr. Aus fast jedem Haus seien so Helfer gekommen, um die nötige Eigenleistungen für das Errichten eines Anbaues an das Feuerwehrhaus erbringen zu können, der kurz vor der Fertigstellung steht. Nebenan ist ein kleiner Fest- und Sportplatz. Die Kinder können einen erst jüngst in Eigenleistung gestalteten Spielplatz unweit der Kirche nutzen. Laut Bürgermeister haben ansässige Unternehmer und Familien den Bau unterstützt, während die Gemeinde die Spielgeräte finanziert hat. „Wir helfen so im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten in jedem Jahr in einem anderen Ortsteil“, so Krause.
„Zu einer schönen Tradition ist geworden, dass jedes neu geborene Kind mit einem Storch begrüßt wird“, so Ga-briele Ziegler. Das hübsche Storchenmodell mit Baby ziert derzeit das Hoftor der Familie Opolka. Opa Gerd Opolka, der auf dem Hof seit fünf Jahren einen Fahrzeugservice betreibt und in der Scheune unter dem noch erhaltenen Taubenschlag eine Werkstatt ausgebaut hat, ist mächtig stolz auf das jüngste von fünf Enkelkindern. Unter der Scheune des Hofes mit der Hausmarke 1844 befindet sich in einem historischen Tonnengewölbe ein liebevoll eingerichteter Weinkeller. Altes ist mit Neuem vereint, denn der Sohn, der bei Porsche in Leipzig arbeitet, hat sich jüngst in Richtung Garten sein Eigenheim geschaffen.
In der Nachbarschaft planschten an diesem heißen Sommertag gerade Kinder in einem kleinen Pool. Vater Jakisch schraubte währenddessen an seinem Auto. Die junge Familie hat vor etwa drei Jahren vom Großvater das Grundstück übernommen und steckt noch mitten im Um- und Ausbau. Doch auch ohne familiäre Wurzeln gibt es Zuzug nach Dietrichsroda. Zuvor in Zscheiplitz wohnend, hat René Ulrich mit Frau Grit und den zwölfjährigen Zwillingen Anastasia und Lisa-Marie im November 2013 in der früheren Dorfschule eine der vier Wohnungen bezogen, die Eigentümer Matthias Porse dort ausgebaut hat. „Wir haben hier genau das Passende gefunden“, so Ulrich. Die Neubürger, die vor allem die Ruhe und das Umfeld loben, haben auch rasch den richtigen Draht zu den Dietrichsrodaern gefunden, sind inzwischen aktive Mitglieder im Heimat- und Feuerwehrverein.
Der Hof nebenan von Familie Porse, die ein Elektrounternehmen betreibt, gehört mit der Hausmarke 1861 zu den größten Hofanlagen. Die gut sanierte Bausubstanz überrascht mit außergewöhnlichen historischen Details. Die durch Pferde und andere Haustiere genutzten Ställe weisen Kreuzgewölbe auf, über denen früher Kutscher und andere Bedienstete gewohnt haben. Matthias Porse berichtet über geheimnisvolle Kelleranlagen, deren Größe und Alter bis heute nicht restlos geklärt sind und in denen sich in Notfällen früher Menschen versteckt haben sollen.
Dem Porse-Hof gegenüber liegt ein weiteres Grundstück mit sehr alten Bauwerken, das als ehemaliges Vorwerk von Kloster Pforta in der Chronik Erwähnung findet. Familie Weipert wohnt dort mit viel Blumenschmuck im Hof, pickenden Hühnern und einem kleinen Lehmhäuschen im Hintergrund. „Das ist unser Backhaus“, erklärt Karin Weipert. Das funktioniere auch noch, gehöre zu den letzten noch intakten in Dietrichsroda. Daneben ist eine Räucherkammer. Ab und zu wird mit einem kleinen Familienfest noch Brot gebacken. Und im Winter kommen die Würste vom Hausschwein am Schlachttag in die Räucherkammer.
Eine Glocke ruft zum Gottesdienst
Die Kirche ist nur noch eine Ruine, weil das Geld für Erhalt und Wiederaufbau gefehlt hat, wie Kurt Göhle erzählt, der am Portal mit der Jahreszahl 1732 wartete. Hinter der Kirchentür eröffnet sich der Blick in eine fast verwunschen wirkende grüne Idylle. Dafür entstand ein kleiner Gemeinderaum an der östlichen Giebelwand. Dort wird der Gottesdienst abgehalten und die Messingtaufschale verwahrt. Von der einstigen barocken Zier und Innenausstattung der Kirche zeugen die Reste des Kanzelaltars von 1733. Für die eine erhaltene Glocke wurde eine Fachwerkkon-struktion eingebaut, um zum Gottesdienst läuten zu können. Neben dem Kirchenportal liegt der Löschteich. Von Grün umrahmt ist das Denkmal für die Gefallenen im Ersten Weltkrieg. Anlieger hoffen, dass auch noch eine Erinnerung an andere Opfer hinzukommt.
Verlass auf Gewerbetreibende
Neben dem bekannten Bio-Hof der Familie Gerster (Tageblatt/MZ berichtete) prangt an einer Hauswand die Malerei eines historischen Traktors. Peter Hechler ließ das Motiv seines Hobbys auftragen. Der Ruheständler hegt und pflegt zwei dieser selbst instand gesetzten robusten Zugmaschinen, präsentiert sie auch bei Treffs. Das älteste Modell, ein Lanz Bulldog, ist Baujahr 1940. Am Ortseingang aus Richtung Pleismar hat Udo Göhle, der Bruder des Vereinsvorsitzenden, seine Technik herausgefahren. Während Klaus Göhle schon länger ein mobiles Sägewerk betreibt, hat Bruder Udo, der gelernte Fleischer, vor einem Jahr einen Hausmeister- und Gartenservice gegründet. Mutter Brigitta Göhle, mit 76 Jahren die älteste Frau in Dietrichsroda, freut sich, dass auch der zweite Sohn sein handwerkliches Talent erfolgreich in die Selbstständigkeit einbringen konnte. Und Bürgermeister Arno Krause weiß die Unterstützung der Gewerbetreibenden zu schätzen, die sich in Dietrichsroda in unterschiedlichster Form, ob mit ihrer Technik oder mit Leistungen, einbringen und helfen, um den kleinen Ort noch lebenswerter zu machen.