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Zweimal Opfer von Gewalt Zweimal Opfer von Gewalt: Schwerbehinderte aus Merseburg lebt nach Überfall in Angst

Von Undine Freyberg 05.09.2018, 05:02
Ein gewalttätiger Angriff - wie hier auf diesem Symbolfoto - bleibt selten ohne psychische Folgen.
Ein gewalttätiger Angriff - wie hier auf diesem Symbolfoto - bleibt selten ohne psychische Folgen. dpa

Merseburg - Die 20-Jährige hat Angst. Erst seit ein paar Tagen traut sich die Merseburgerin wieder allein auf die Straße. „Ich bin so froh, dass sie wieder rausgeht“, sagt ihre Mutter. Selbst am helllichten Tag sei ihre Tochter nicht dazu zu bewegen gewesen, rauszugehen. Zu schlimm war das Erlebte. Deshalb möchte die Familie auch anonym bleiben.

Es ist erst gut zwei Wochen her. Wie die junge Frau schildert, kam sie am 19. August vom Gottesdienst und war an diesem Sonntag auf dem Heimweg. An der Hölle fiel ihr ein Mann auf, der sie musterte. „Er war so ein südländischer Typ, hatte ein Basecap auf.“ Die 20-Jährige ging weiter in Richtung Nulandtplatz. Was sie nicht bemerkte: Der Mann folgte ihr.

Schwerbehinderte Merseburgerin von Unbekanntem beklaut

An der Fußgängerampel wurde sie von hinten angefasst. Eine Stimme sagte „Uhrzeit“ - auf Deutsch mit starkem Akzent. „Ich bin ein freundlicher Mensch, also habe ich ihm gesagt, wie spät es ist“, erzählt sie der MZ. Sie erkannte den Mann wieder, konnte gerade noch ihr Handy in die Hosentasche stecken, da griff der Mann auch schon nach ihrer schwarzen Gürteltasche, die sie um den Oberkörper trug. „Er hat richtig fest daran gezogen. Ich hatte dann nur noch ein Stück von dem Gürtel in der Hand“, erzählt sie. Sie hätte sich nicht gegen ihren Angreifer wehren können. „Der war groß und kräftig“, erinnerte sie sich.

Geld, Schwerbehindertenausweis und EC-Karte waren weg - Tatverdächtiger gefasst

Der Mann sei weggerannt. Mit ihm ein zweiter Mann. „Den hatte ich überhaupt nicht bemerkt. Sie kamen ja beide von hinten.“ Sie weiß nur noch, sie habe auf dem Boden gelegen und geweint. Auch weil der Mann ihre Gürteltasche geraubt hatte - mit ihrem Geld, ihrem Schwerbehindertenausweis, ihrem Schlüssel sowie ihrer EC- und Krankenkassen-Karte.

Glücklicherweise seien ihr gleich Passanten zu Hilfe gekommen, die auch einen Rettungswagen gerufen haben und sie gefragt hätten, ob sie etwas trinken möchte. Zeugen konnten beide Männer beschreiben, von denen einer sogar auf die junge Frau eingetreten haben soll. Ein 18-Jähriger mit Migrationshintergrund konnte wenig später gefasst werden. „Die Ermittlungen gegen den zweiten Mann laufen noch“, sagte Polizeisprecher Dominique Schneegaß der MZ.

In der Bahn verprügelt: Merseburgerin wurde schon zuvor Opfer von Gewalt

„Ich mag keine Hetze gegen Ausländer“, sagt die Mutter der 20-Jährigen. „Aber ich verstehe nicht, dass diese Menschen in unser Land kommen und Straftaten begehen.“ Ihre Tochter sieht das ähnlich. „Ich habe überhaupt nichts gegen Ausländer - sie sind doch Menschen wie wir“, sagt die junge Frau, die lernbehindert und leicht motorisch eingeschränkt ist. „Aber ich habe etwas gegen Leute, die andere angreifen.“

Deshalb habe sie sich auch eingemischt, als vor etwa drei Jahren ein Mann Anfang 20 von einem Jugendlichen das Handy erpresst hat. „Kein anderer in der Straßenbahn hat reagiert. Auch kein Erwachsener. Also habe ich den Mann - es war ein Deutscher - aufgefordert, dem Jungen das Handy wiederzugeben“, erzählt sie.

Für ihren Mut wurde die Merseburgerin bestraft. Der Mann habe ihr den Rucksack weggenommen. „Er hat sie aus der Bahn geprügelt und mit einer Flasche geworfen, die sie am Kopf getroffen und verletzt hat“, erzählt ihre Mutter. Der Mann von damals habe eine Bewährungsstrafe bekommen.

Merseburgerin nach dem Angriff: Angst ist ständig da

Wegen dieser Attacke und aufgrund des aktuellen Überfalls ist es für die 20-Jährige nicht einfach, allein draußen unterwegs zu sein. Die Angst sei ständig da. „Ich würde gern einen Selbstverteidigungskurs machen“, sagt sie. „Allerdings können wir uns das nicht leisten“, sagt ihre Mutter, die unter anderem bei der Opferhilfsorganisation Weißer Ring um Unterstützung gebeten, aber niemanden erreicht hat.

Zum Glück sind die Mitglieder der Kirchengemeinde hilfsbereit. Sie werden die 20-Jährige nun zur Chorprobe abholen und wohl auch nach Hause bringen. Ansonsten werden die Eltern sie fahren.

Die Gürteltasche der jungen Frau ist mittlerweile wieder aufgetaucht. „Eine Familie mit zwei Kindern hatte sie im Gebüsch am Spielplatz an der Sixtistraße gefunden“, erzählt die Mutter der 20-Jährigen. Was diese am meisten schockierte: „Es fehlten nur meine Zigaretten und das Feuerzeug. Unglaublich. Und dafür wurde ich derart überfallen.“ (mz)