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Amtsgericht Ohne Führerschein und Moral? Zustellerin aus Köthen soll Pakete lieber selbst behalten haben

Von Jessica Vogts Aktualisiert: 20.09.2021, 12:31
Ein Stapel Pakete (Symbolbild)
Ein Stapel Pakete (Symbolbild) (Foto: picture alliance/dpa)

Köthen/MZ - „Ich habe überlegt, ob ich anfange zu würfeln. Kommt sie, kommt sie nicht“, sagt Richterin Susann Vogelsang am Mittwoch vor dem Amtsgericht Köthen. Nach drei Anläufen ist die Angeklagte Jenny B. (Name geändert) aber erschienen - zusammen mit einer Vielzahl an geladenen Zeugen.

Vor dem Amtsgericht wurde gegen sie wegen Verstoßes gegen das Postgeheimnis und Unterschriftenfälschung in 19 Tateinheiten verhandelt. Im Zeitraum von September 2018 bis Januar 2020 soll die Angeklagte als Paketzustellerin mehrere Pakete nicht an den adressierten Empfänger zugestellt haben. Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hat die Köthenerin die Pakete in ihr Privatauto umdeponiert und die Unterschrift der Sendungsempfänger gefälscht.

Über sechs Wochen hatte die Angeklagte diverse Kunden-Pakete in ihrem privaten Auto gelagert

Jenny B. sitzt im Gerichtssaal in Arbeitskleidung eines bekannten Paketzustellers. „Wenn das alles so stimmen würde, warum arbeite ich dann immer noch in dem Unternehmen? Die stellen doch keinen Dieb ein“, wirft die Köthenerin in den Raum und erklärt: Sie habe die Pakete in ihrem Auto lediglich „zwischengeparkt“, um sie zu einem späteren Zeitpunkt an die Kunden auszuliefern. Durch den Druck und Stress auf Arbeit habe sie es zeitlich nicht geschafft, alle Pakete auszutragen.

Über sechs Wochen hatte die Angeklagte diverse Pakete in ihrem Auto gelagert. Als die Polizei diese beschlagnahmte, waren einige davon geöffnet und beschädigt. Bei anderen fehlte gänzlich der Inhalt. Jenny B. beteuerte vor Gericht ihre Unschuld. „Ich habe keine Pakete geöffnet. Ich schwöre“, sagt sie. Ihr Bruder, derzeit per Haftbefehl gesucht, und eine Freundin hätten zeitweise ihr Auto genutzt. Diese seien es auch, die die Pakete geöffnet haben müssen.

Bei einer Hausdurchsuchung fanden Polizeibeamte eines der gestohlenen Pakete - geöffnet

„Das mit dem Zwischenlagern war dumm, ja. Aber ich bin kein Dieb“, erklärte die junge Frau. „Aber eine Betrügerin“, räumt die Richterin gleich ein. Denn so richtig mochten weder die Staatsanwaltschaft noch die Richterin ihren Aussagen Glauben schenken. Erschwerend kam hinzu: Die Angeklagte ist bereits vorbestraft, unter anderem wegen Betruges, Geldfälschung und Drogen. Anderthalb Jahre auf Bewährung und Arbeitsstunden, die die Angeklagte bis heute nicht geleistet hat, lautete seinerzeit das Urteil.

Das Bild der Angeklagten wirkte unklar, teils widersprüchlich. Bei einer Hausdurchsuchung fanden Polizeibeamte eines der gestohlenen Pakete - geöffnet. Aber auch dafür hat die Frau eine Erklärung: Das Paket soll zunächst bei ihrer Freundin gewesen sein, die sich ihr Privatauto zeitweise ausgeliehen hatte. Angeblich kam es irgendwann zum Bruch zwischen den beiden Frauen - Grund sei Eifersucht wegen eines Mannes gewesen. Irgendwann habe dieses Paket mit Eiweißpulver plötzlich vor ihrer Tür gestanden. Sie habe es lediglich mit ins Haus genommen, als wenig später schon die Polizei eintraf.

Im Dezember 2019 waren ihrem ehemaligen Depot-Leiter aus Dessau-Roßlau erstmalig Unstimmigkeiten aufgefallen

„Immer wenn ich nachbohre, kommt eine neue Story von Ihnen hier“, erklärte die Richterin nach dieser Aussage und unterbrach die Verhandlung zunächst, um der Angeklagten Gesprächszeit mit ihrem Anwalt einzuräumen.

Nach einer kurzen Pause ging es mit der Vernehmung der Zeugen weiter. Im Dezember 2019 waren ihrem ehemaligen Depot-Leiter aus Dessau-Roßlau erstmalig Unstimmigkeiten aufgefallen. Ein Kunde habe sich über sein fehlendes Paket beschwert, auch hätte er nie eine Unterschrift getätigt. Mehrmals habe er das Gespräch mit der Angeklagten gesucht. Jenny B. stritt das alles ab. Die Klagen der Kunden aber häuften sich. Als „manipulierend“ bezeichnet der Zeuge die Art der Angeklagten. 25 bis 50 Pakete seien in rund drei Monaten abhanden gekommen. Der Schaden soll sich auf eine fünfstellige Summe belaufen.

Fast ein Jahr besaß Jenny B. keine gültige Fahrerlaubnis

Ihr aktueller Chef wisse nichts vom derzeitigen Prozess. Was für die Richterin natürlich Fragen aufwarf: Wie kann die Angeklagte überhaupt ihrer Tätigkeit als Paketzustellerin nachkommen, wenn ihr doch im Juli 2020 der Führerschein entzogen wurde? „Vor einer Woche hat Mutti den Führerschein weggeschickt. Vor einer Woche bekam ich einen Fahrer bei der Arbeit gestellt“, verstrickte sich die Angeklagte mit der Antwort zugleich in ein weiteres Lügengerüst.

„Bis Anfang September sind sie also weiter Auto gefahren“, wollte Richterin Vogelsang wissen. „Ich habe Mist gebaut. Was soll ich machen“, erklärte die Angeklagte und zuckte mit den Schultern. Damit wurde für alle Anwesenden klar: Mit einer Bewährungsstrafe kommt Jenny B. hier wohl nicht davon. Es summiert sich.

Die Richterin sammelte sich einen Moment und zählte eins und eins zusammen: Fast ein Jahr besaß Jenny B. keine gültige Fahrerlaubnis. Bei etwa 20 Arbeitstagen würden sich daraus schon mehr als 200 Straftaten ergeben. „Da können wir gleich ein Gesamtpaket schnüren.“ Die Richterin kam letztendlich der Empfehlung der Staatsanwaltschaft nach und gab das Verfahren an die nächst höhere Instanz, das Schöffengericht, ab. Ein Urteil steht noch aus.