Jessen Jessen: Seit 200 Jahren Familienbesitz
JESSEN/MZ. - Am Freitag, genau vor 20 Jahren, am 17. Dezember 2000, öffneten Horst Steinbeiß und seine Frau Brigitte zum ersten Mal die Tür von "Steinis Menütankstelle", direkt an der Bundesstraße B 187 in Rehain. Seitdem gönnen sich hier zahlreiche Reisende eine kleine Pause, um sich zu stärken. Auch aus der Umgebung von Jessen und Elster kehren oft Gäste ein, die die Hausmannskost - alle Gerichte werden von der Chefin selbst zubereitet - zu schätzen wissen. "Eigentlich dachten wir damals zunächst nur an einen Imbiss, doch dann wurde es diese kleine Gaststätte", sagt Brigitte Steinbeiß.
"Der Schwarze Trompeter"
Ihr zufriedenes Lächeln lässt dabei wissen, dass keiner der beiden die damals getroffene Entscheidung bereut, auch wenn die Jahre nicht immer gleich gut waren. In der Euphorie der Nachwendezeit fanden beide den Mut zu einem beruflichen Neuanfang. "Ich war Betriebselektriker in der früheren LPG Gartenbau Jessen, meine Frau arbeitete als Schneiderin in der Herrenmode. Bei der Neustrukturierung wurde ich nicht mehr gebraucht, und Brigitte ahnte, dass die Tage in ihrem Betrieb auch gezählt sein würden", berichtet Horst Steinbeiß. Die Idee "mit der Gastronomie" war sein Traum. "Das Grundstück hier ist seit 200 Jahren in Familienbesitz, und ich weiß, dass meine Vorfahren mal Schankwirte waren. Bis 1889 hatten sie eine Schankwirtschaft. Meine Großeltern rissen das Gebäude weg und errichteten dieses Haus, das wir 101 Jahre später um- und ausbauten, um selbst Wirtsleute zu werden", zeigt die Ehefrau auf. Durch Zufall erfuhren Steinbeiß' vor wenigen Jahren, dass die damalige Schänke den Namen "Der schwarze Trompeter" führte. "Ein älterer Gast aus Listerfehrda erzählte uns das. Wie der Name zustande kam, wissen wir allerdings nicht. Es gibt auch keine uns bekannten Aufzeichnungen darüber."
Am 31. Juli 2000 holte Horst Steinbeiß seine Gewerbegenehmigung. Zunächst begann jedoch alles mit einem Getränkeflaschenverkauf. Vom 1. September bis wenige Augenblicke vor der Eröffnung der Gaststätte am 17. Dezember desselben Jahres wurde "nebenbei" gebaut. Es war eine Hauruck-Aktion. Viele Handwerksfirmen standen erst in den Startlöchern. Wir haben uns auf diejenigen verlassen, die wir von früher her kannten: Projektiert hat Horst Brachwitz aus Elster. Als Bauunternehmer agierte die Firma Lehmann aus Schweinitz, als Elektriker Reinhold Wolter aus Elster. Mitgewirkt haben unter anderem auch die Firmen Krahlisch aus Mügeln und der Mark Zwuschener Fensterbau. Der Parkplatz am Haus, direkt neben der Bundesstraße, war zur Eröffnung auch schon fertig. Er sollte, neben aller Gastfreundlichkeit und der guten Küche, die Basis für einen guten Start werden.
Was möglicherweise heute kaum noch einer weiß: "Steini's Menütankstelle" war die erste Gaststätte, die nach der Wende in Jessen neu eröffnet hat. "In den ersten Jahren war der Zulauf sehr groß und brachte reichlich Arbeit sowie eine solide Geschäftsbasis. "Wir waren damals vier Vollbeschäftigte und zwei Hilfskräfte", lässt Brigitte Steinbeiß wissen. Neben der Bewirtung ihrer Gäste lag dem Paar auch immer am Herzen, etwas "Schwung" in die Region zu bringen. Die ersten fünf Spargelfeste hat Horst Steinbeiß in Verbindung mit dem damaligen Fremdenverkehrsverein aus der Taufe gehoben.
Jahre lang war er der Chef der "Menütankstelle". Dann gab es die wohl schwerste Krise des kleinen Unternehmens. Der Wirt erlitt einen Schlaganfall und konnte, trotz guter Genesung, nicht mehr die Verantwortung für das Geschäft tragen. Was also tun? Klar war, dass weder Tochter noch Sohn Ambitionen zur Übernahme hatten, weil sie sich beruflich anders orientierten. So setzte sich Brigitte Steinbeiß mit damals 52 Lebensjahren noch einmal auf die Schulbank, um Buchhaltung und anderes mehr zu erlernen. Von der Übergabe des Betriebes an die Ehefrau haben nur wenige Besucher etwas mitbekommen. Auch dass das Haus als "Steini's Raststätte" eines Tages neu firmierte, blieb weitgehend unbemerkt, denn die Gastfreundschaft veränderte sich nicht. Wenn sich die Tür öffnet, heißt es oft hintereinander "Moin, moin" oder "Grüß Gott" und "Servus". Norddeutscher mischt sich mit bayrischem, badischem, sächsischem oder hessischem Dialekt. Auch "ausländisch" wird oft gesprochen. Verständigt hat man sich bis jetzt immer - mitunter auch mit Händen und Füßen. Dieser Tage freute sich unter anderem Norbert Block aus Neubrandenburg in klarem Norddeutsch, endlich wieder die Jessener Tour zu Jütro-Frost zu haben. "Schon vor der Wende bin ich hierher gefahren. Als ich 1990 bemerkte, dass eine Raststätte gebaut wird, habe ich gleich beim nächsten Mal angehalten. Seitdem immer wieder, und jedes Mal fühle ich mich hier wohl wie zu Hause bei Muttern", lässt der stämmige Truckfahrer wissen.
Und er erfreut sich, wie viele andere Berufskollegen auch, an der unübersehbaren Sammelleidenschaft von Horst Steinbeiß: Im Gastraum sind in mehreren Vitrinen mehr als 400 Mini-Trucks zu sehen.
Außergewöhnliche Begegnungen
Klar, dass es in den zwei Jahrzehnten auch Begegnungen mit "exotischen Gästen" gab, wie Brigitte Steinbeiß schmunzelnd verrät: Motorradfahrer aus Schweden, eine Truppe älterer Herren, die mit Fahrrädern von Holland nach St. Petersburg unterwegs waren. Auch ein Fußgänger auf dem Weg von München nach Berlin freute sich über eine warme Mahlzeit, und Handwerker auf der Walz mischen sich hin und wieder unter die Gäste. Zu den sehr angenehmen Erinnerungen zählen auch die Gespräche mit dem netten Biologen aus Sri Lanka, der zeitweise den Aufbau der Jessener Störfabrik begleitete.
Weniger schön allerdings ist oft der Anblick des Parkplatzes: "Einige Kraftfahrer lassen ihren Müll einfach liegen, den wir teuer entsorgen müssen", ärgert sich die Wirtin.
Am Freitagabend jedenfalls gibt es fröhliches Gläserklingen, denn einige Stammgäste und Freunde von Familie Steinbeiß werden mit ihnen gemeinsam auf das Jubiläum anstoßen. Möglicherweise sind dabei auch Altberliner Melodien zu hören, denn Horst und Brigitte Steinbeiß sind Gründungsmitglieder des Tanzkreises "Kesse Sohle". Nach der kleinen Feier geht es dann zügig an die Weihnachtsvorbereitungen. Wer zwischen Heiligabend und Neujahr unterwegs ist, soll nicht auf sein Festtagsessen verzichten müssen: Gans, Wildschwein und Fisch werden dann mit auf der Speisekarte stehen. Dieses Angebot nutzen übrigens auch einheimische Gäste gern. Diese sollten dann aber für die Feiertage vorbestellen.
Mehr als zehn Jahre war Horst Steinbeiß Chef vom Gebietsverband Dehoga Jessen (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband). Auch wenn er aufgrund seiner Krankheit diese Funktion nicht mehr ausüben kann, liegt ihm die Gastronomie in der Region weiterhin sehr am Herzen. "Viel Gutes hat sich da in den vergangenen Jahren entwickelt", freut er sich und hofft, dass sich wieder mehr Wirte aktiv in der Verbandsarbeit engagieren.