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Beratungsmobil Beratungsmobil: Wie ein Blinder anderen Menschen mit Sehbehinderung hilft

Von Thomas Tominski 28.09.2017, 12:56
Susanne Templin und Andreas Leutloff touren mit dem Beratungsmobil „Blickpunkt Auge“ durchs Land Sachen-Anhalt.
Susanne Templin und Andreas Leutloff touren mit dem Beratungsmobil „Blickpunkt Auge“ durchs Land Sachen-Anhalt. Thomas Tominski

Zahna - Andreas Leutloff hat Zeit. Der 51-Jährige sitzt im Beratungsmobil des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Sachsen-Anhalts und wartet geduldig auf Kundschaft. „Solch eine Situation erleben wir selten. Normalerweise stehen die Menschen am Bus Schlange“, meint er.

Der Wittenberger, der seit Geburt blind ist, kennt die Ängste und Nöte seiner Besucher aus dem Effeff. „Plötzlich verändert sich das Leben. Es kommen völlig neue Herausforderungen auf die Betroffenen zu. Das fängt mit dem Verzicht aufs Auto an“, so Leutloff, der „seine Kunden“ gern an die Hand nimmt und ihnen im Gespräch viele Hilfestellungen anbietet. Dazu gehört zum Beispiel das richtige Ausfüllen eines Blindengeld-Antrags, der Besuch einer Selbsthilfegruppe oder die Bedienung eines Smartphones.

Smartphone hilft blinden Menschen durch den Alltag

Apropos Technik. Auf das Handy mit dem angebissenen Apfel auf der Rückseite hält der Mitarbeiter der Beratungsstelle Dessau-Roßlau große Stücke. Kurzum: Das Smartphone kann sprechen und hilft dem sehbehinderten Menschen damit über viele Alltagshürden hinweg. „Bei uns in Magdeburg gibt es sogar einen Smartphone-Stammtisch“, ergänzt Susanne Templin von der dortigen Beratungsstelle, die zusammen mit Leutloff am Dienstag Station in Zahna und Jessen gemacht hat.

„In Wittenberg gibt es einen regen Erfahrungsaustausch, welche App sinnvoll ist“, meint der 51-Jährige, der am praktischen Beispiel zeigt, wie gut er seinen „Apfel“ im Griff hat. Der Lutherstädter nutzt auch das installierte Navigationssystem. Selbstverständlich ist er dann zu Fuß unterwegs. „Das klappt ganz gut. Der Abstand zum Ziel beträgt selten mehr als 40 Meter.“

Trotz einer lebenslangen Behinderung hat Leutloff seinen Humor nicht verloren. Klar, kenne er Blindenwitze. Wenn es nicht unter die Gürtellinie geht, kann er sich darüber amüsieren. Als Beweis gibt er einen zum Besten. „Was sagt ein Blinder, wenn er gegen einen Laternenpfahl läuft? - Das habe ich kommen sehen“, so der Wittenberger, der sich nach der Pointe vor Lachen auf die Schenkel haut.

Schließung von Bankfilialen wird für sehbehinderte Menschen zum Problem

Im Großen und Ganzen sollte man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ein Blinder sage eben im Gespräch, dass er das Buch gelesen und nicht gehört habe. Leutloff beschäftigen ganz andere Dinge. Die Schließung von Bankfilialen bildet einen zentralen Schwerpunkt vieler Diskussionsrunden. Früher haben Mitarbeiter die Bankgeschäfte von sehbehinderten Personen kompetent erledigt. „Wir brauchen sprechende Geldautomaten“, sagt der 51-Jährige, der sich diesen Service landesweit wünscht.

Der gebürtige Selbitzer erzählt nicht ohne Stolz, dass er zu DDR-Zeiten eine sehr gute schulische Ausbildung mit psychologischer Betreuung hatte. Nach seiner Ausbildung zum Zerspanungsfacharbeiter habe er auf Telefonist umgesattelt. Die Frage nach dem einen Wunsch - vorausgesetzt er trifft den Zauberer - kann Leutloff nicht konkret beantworten.

Da der Berater seit Geburt blind ist, hat er sich an sein Handicap gewöhnt. „Wahrscheinlich“, sagt er, „würde ich mir etwas anderes wünschen.“ Bei Menschen, die erst im Laufe ihres Lebens blind werden, sei der Wunsch, wieder sehen zu können, stärker ausgeprägt. Der 51-Jährige ist froh, dass sein Handicap keine Erbkrankheit ist. Beide Kinder können gut sehen und sind perfekt darin, Dinge verständlich zu erklären.

Susanne Templin und Leutloff schauen aus dem Beratungsmobil. Auf dem Parkplatz in Zahna herrscht gähnende Leere. „Danach geht es weiter nach Jessen“, sagen sie. Das Duo ist überzeugt, dass am Nachmittag mehr Verkehr herrscht.

Übrigens, das Beratungsmobil „Blickpunkt Auge“ des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Sachsen-Anhalt tourt von März bis November durch das Land und macht an etwa 100 Orten Station. Menschen mit einer Sehbehinderung erhalten von geschulten Mitarbeitern im Gespräch kompetente Auskünfte.

(mz)