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„Kein Anlass für Jubel“ Wiegands Beurlaubung: Ist Halles Politik in einer schweren Krise?

In der Impfaffäre darf Bernd Wiegand seine Amtsgeschäfte ab sofort nicht mehr führen - ein gravierender Schritt für die Stadtpolitik. Der OB bleibt bei seiner Linie.

12.04.2021, 21:00

Halle (Saale) - Es wirkt wie eine schnöde Alltagsszene, tatsächlich hat es so einen Vorgang in Sachsen-Anhalt bislang noch nicht gegeben: Kurz vor 11 Uhr klingelt Stadtratsvorsitzende Katja Müller (Linke) am Montag an der privaten Wohnadresse von Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos). Kurze Zeit später kommt der 64-Jährige, der im Urlaub ist, vor die Tür, bittet die Ratsvorsitzende hinein.

Nach wenigen Minuten ist das Treffen vorbei, hat der OB die Verfügung mit der Begründung über 18 Seiten in der Hand. Ab sofort darf er seine Dienstgeschäfte nicht mehr führen. Zudem ist ihm untersagt, den Ratshof oder andere Verwaltungsgebäude zu betreten. „Die Atmosphäre war sachlich. Herr Wiegand hat den Erhalt des Schreibens quittiert“, sagte Müller der MZ.

Suspendierung von Wiegand gravierender Schritt: „Kein Anlass für Jubel“

Sie sei froh, dass nicht der Gerichtsvollzieher anrücken musste. Es ist der vorläufige Höhepunkt der Impfaffäre. Später geben die Fraktionsvorsitzenden von Linken, CDU, Grünen, SPD und FDP eine gemeinsame Erklärung heraus. Das Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte, am 7. April mit einer großen Mehrheit auf einer Sondersitzung des Stadtrats beschlossen, sei „zweifelsohne Ausdruck einer schweren kommunalpolitischen Krise“.

Eine solche verhängte Maßnahme sei ein gravierender Schritt, „der weder Anlass für Jubel noch für Schadenfreude gibt“. Es gelte zwar nach wie vor die Unschuldsvermutung. Der Schritt sei dennoch notwendig gewesen, um die vollständige Aufklärung der Impfaffäre herbeizuführen und das Ansehen in die öffentliche Verwaltung und die Kommunalpolitik wieder herzustellen.

Impfaffäre in Halle: Stadträte und Kommunalpolitiker haben eine vorzeitige Corona-Impfung erhalten

Doch dafür muss sich der Stadtrat auch mit sich selbst beschäftigen. „Wir sind uns bewusst, dass dazu gehört, die vorzeitigen Impfungen mehrerer Mitglieder des Stadtrats aufzuarbeiten und zu reflektieren.“ Zehn Stadträte sollen nach einem Angebot des OB ihr Interesse an einer vorzeitigen Corona-Impfung signalisiert haben.

Bekannt ist, das acht Kommunalpolitiker auch eine Impfung erhalten hatten: Bodo Meerheim (Linke), Annette Kreuzfeldt (Grüne), Tom Wolter, Yvonne Winkler, Regina Schöps (alle Mitbürger/Die Partei), Martin Ernst, Johannes Menke (beide Hauptsache Halle/Freie Wähler) und Andreas Schachtschneider (CDU).

Schwere Vorwürfe gegen Wiegand seitens der Staatsanwaltschaft

Wiegand äußerte sich am Montag nicht, ließ eine Anfrage der MZ unbeantwortet. Auf seiner Internetseite geht der OB aber auf die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Halle gegen ihn ein. In einem Zwischenbericht wird Wiegand schwer belastet. Der OB soll die Anweisung erteilt haben, dass mit System gegen die Impfverordnung verstoßen werden sollte, um Stadträte sowie Mitglieder des Katastrophenschutzstabs gegen das Virus zu schützen.

Auch soll er Mitarbeiter zum Schweigen verdonnert sowie Akten manipuliert haben. „Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage“, so Wiegand. Es erscheine bedenklich, einen Vorgang dem Stadtrat vorzulegen, bei dem der Beschuldigte nicht Gelegenheit gehabt habe, Stellung zu beziehen. Die Staatsanwaltschaft hatte am 6. April, einen Tag vor dem Stadtrat, ihren Zwischenbericht sowohl den Ratsmitgliedern als auch Wiegand zur Verfügung gestellt.

Fraktionschefs: Verwaltung und Katastrophenschutzstab arbeiten auch ohne OB effektiv

„Eine Anweisung, gegen die Impfverordnung zu verstoßen, habe ich nicht gegeben“, so der OB. Wiegand hatte angekündigt, mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht gegen seine Suspendierung vorgehen zu wollen. Am Montag lag dem Gericht noch nichts vor.

In ihrer Erklärung gehen die Fraktionschefs davon aus, dass Verwaltung und Katastrophenschutzstab auch ohne OB effektiv arbeiten. „Ein Oberbürgermeister kann und darf nicht unersetzbar sein, wenn Vertrauen aus gravierenden Gründen zerstört ist.“ (mz/ Dirk Skrzypczak)