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Mit Handicap im Job Warum ihre Sehbehinderung eine Hallenserin bei der Ausbildung nicht beeinträchtigt

Ihre Sehbehinderung schränkt Maria Dechant längst nicht so ein, wie man meinen könnte. Gerade beendet die 24-Jährige ihre Ausbildung bei der Arbeitsagentur.

Von Annette Herold-Stolze 17.06.2021, 16:30
Die Ausbilung fast beendet: Maria Dechant lernt bei der Agentur für Arbeit.
Die Ausbilung fast beendet: Maria Dechant lernt bei der Agentur für Arbeit. Foto: Silvio Kison

Halle (Saale) - Draußen ist Maria Dechant fast nie ohne Stock unterwegs. Wo sie sich auskennt wie in der halleschen Agentur für Arbeit, braucht die 24-Jährige ihn nicht unbedingt. Das heißt für die jungen Frau aber auch, vertraute Routen zu nutzen. Ist ein Büro durch mehrere Eingänge zugänglich, nimmt sie immer den selben. Denn oft ahnt sie mehr, als dass sie sieht: Maria Dechant kann mit dem rechten Auge gar nichts sehen, ihr linkes hat eine Sehkraft von zwei Prozent.

Ausbildung bei der Agentur für Arbeit hatte Hallenserin nicht gleich auf dem Schirm

Das ist von Geburt an so, wie sie erzählt, und Maria Dechant hat längst gelernt, sich von dieser Einschränkung nicht vom Leben abhalten zu lassen. Wenn alles gut geht, darf sie demnächst die Berufsbezeichnung Fachangestellte für Arbeitsmarktdienstleistungen führen. Die schriftlichen Prüfungen hat sie hinter sich, die mündlichen stehen bevor. Und es sieht ganz so aus, als würde sie danach bei der Agentur für Arbeit bleiben: Ihr ist eine Anstellung in Aussicht gestellt.

Dass sie einmal bei der Behörde lernen würde, stand lange nicht fest. Genau genommen hat Maria Dechant nur zufällig erfahren, dass die Agentur für Arbeit selbst auch ausbildet - bei einer Messe, auf der die Agentur um Nachwuchs warb. Die Agentur für Arbeit als Ausbildungsbetrieb sei vielen nicht so geläufig, weiß Dörte Balzer, Geschäftsführerin des Bereichs interner Service. Um so mehr ermuntert sie Schulabgänger zu einer Bewerbung. „Auch wenn jemand ein Paket mitbringt“, spielt sie auf Maria Dechants Sehbehinderung an. „Wir machen für jeden etwas möglich.“

Unterstützung erhält Azubine auch von den anderen Azubis

Im Falle der 24-Jährigen hieß das unter anderem, zu Ausbildungsbeginn eine elektronische Leselupe und einen Laptop mit Vergrößerungssoftware zur Verfügung zu stellen. Beides benötigt Maria Dechant für die Büroarbeit und kann damit arbeiten wie ihre Kollegen auch. Dennoch fällt sie im Behördenalltag auf. Das kann die junge Frau verstehen. Was sie nicht mag: wenn jemand lange auf ihren Bildschirm mit der großen Schrift guckt, statt zu fragen, was es damit auf sich hat. Sie wünscht sich mehr Offenheit von anderen Menschen und auch von Kollegen. „Man kann mich ruhig fragen: ,Was hast Du denn?’“, sagt sie. „Das ist mir lieber, als wenn sich jemand um mich herumschleicht und guckt.“

Aber im Großen und Ganzen fühle sie sich wohl bei der Agentur, habe in den vergangenen drei Jahren viel kennenlernen dürfen. Unterstützung gebe es auch von den anderen Azubis, die derzeit wie Maria Dechant in der Prüfungsphase stecken. Zusätzlich stehen für Auszubildende mit Einschränkungen pädagogische Fachkräfte zur Verfügung, wie Dörte Balzer berichtet.

Hallenserin ist ein großer Hula-Hoop-Fan und geht gerne schwimmen zum Ausgleich

Was die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung angeht, ist die Agentur den Angaben zufolge dem Durchschnitt weit voraus. Statt der gesetzlich geforderten fünf seien es zehn Prozent, sagt Sprecher Thomas Hicksch. Gerade absolvieren mehrere Blinde und Sehbehinderte Praktika in der halleschen Zentrale und ihren Außenstellen. Grundlage ist eine Vereinbarung mit dem Berufsförderungswerk. „Es ist cool, wenn mehr Menschen wie ich hier arbeiten“, kommentiert Maria Dechant diese Nachricht.

Dabei ist sie so viel mehr als eine Frau mit Sehbehinderung: eine, die sich mit ihren WG-Mitbewohnerinnen angefreundet hat, ein großer Hula-Hoop-Fan, und sie geht gern schwimmen - als körperlicher Ausgleich zur Büroarbeit. Im Freibad braucht sie Begleitung. Aber im Neustädter Hallenbad findet sie sich allein zurecht und sagt anerkennend über dessen Mitarbeiter: „Sie helfen, wenn nötig. Aber sie lassen mich auch machen.“ (mz)