1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Spatenstich in Halle unter Pandemiebedingungen

Rachen oder Nase? Spatenstich in Halle unter Pandemiebedingungen

Auch die Arbeit von Journalisten hat sich in der Pandemie verändert. Welche Fragen plötzlich in den Vordergrund treten, zeigte sich am Freitag bei einem „Spatenstich-Termin“ in der Uniklinik Halle.

Aktualisiert: 16.4.2021, 22:30

Kurz kommt es einem so vor, als wäre man Teil einer kleinen Völkerwanderung. In einer langen Kette trabt eine Menschenmenge durch die schmalen Flure der Uniklinik in Halle. Die Decke hängt tief und die Nebenfrau ist nah. Vom Ende der Schlange lässt sich deren Anfang gar nicht mehr erblicken. Es ist kein klaustrophobischer Zustand, doch trotzdem ploppen plötzlich Warnungen im Kopf auf: Ist das nicht alles etwas eng hier? Bräuchten wir nicht mehr Abstand? Wie war das noch einmal mit den AHA-Regeln?

Spatenstich am Uniklinikum Halle unter Corona-Bedingungen

Es ist wahrlich seltsam, was einem nach über einem Jahr Pandemie so alles in den Sinn kommt - selbst in den normalsten Situationen. Denn genau eine solche ist es, die da am Freitagvormittag am Uniklinikum in Halle stattfindet. Der Neubau des Bettenhauses soll mit einem Spatenstich gestartet werden. Immerhin ein 50 Millionen-Euro-Vorhaben, für das sich Politprominenz nach Halle aufgemacht hat: Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sowie Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD) sind angereist.

Trotz der Besetzung und der ordentlichen Investitionssumme sind solche Spatenstich-Termine journalistisches Alltagsgeschäft. Die Abläufe sind eingeübt, Überraschendes passiert selten. Die Pandemie hat jedoch selbst das Gewöhnliche verändert. Wie früher läuft auch im Journalismus nix mehr ab.

Schnelltests vor Pressetermin

Das fängt schon damit an, dass man in vorpandemischer Zeit meist fünf Minuten vor Start der Veranstaltung den Ort des Geschehens aufsuchte. Wer noch einen Kaffee schlürfen wollte, schlurfte zehn Minuten früher an. Von solch gemütlichem Beginn ist am Freitag keine Spur. Denn erster Programmpunkt für alle – von Ministerpräsident bis Kamerapraktikant – ist ein Schnelltest.

Dafür stellt ein rundum bekittelter Arzt eine halbe Stunde vor Beginn der Zeremonie die Frage dieser Tage: „Rachen oder Nase?“ Da zuletzt erst in der Nase ein Stäbchen versenkt wurde, fällt die Wahl auf den Rachen. Angenehm ist auch das nicht. Eine Kollegin, die sich für Nase entschieden hat, fragt nach ihrem Tête-à-Tête mit dem Kittelmann in die Runde: „Na, ist euer Hirn noch da?“

Nach einer Viertelstunde kommen die Ergebnisse. Es ist ein Casting-Show-Moment: Bin ich eine Runde weiter? Was sagt der Test? Ein Strich hui, zwei Striche Pfui! Es ist ein Strich, negativ – auch bei den Kollegen. Die erste Etappe ist geschafft.

Maske, Abstand und weniger Teilnehmer

Der Schnelltest ist eine der Maßnahmen, die die Uniklinik getroffen hat, damit es überhaupt einen offiziellen Baustart geben kann. „Für uns ist so ein Termin vor Ort ein Balanceakt“, sagt Uniklinik-Sprecherin Christina Becker. Wer als Krankenhaus Patienten, Besuchern und Beschäftigten höchste Hygiene abverlangt, kann nicht fröhlich mit 100 Gästen Spaten in der Erde versenken.

Deswegen gelten Abstandsregeln und durchgängige Maskenpflicht. Und um den Kreis klein zu halten, gab es zuvor mehr Aus- als Einladungen – auch für die Medien. Eine Zeitung, ein Fernsehsender, eine Radiostation und ein Onlinemedium - mehr war nicht erlaubt.

Muss das sein?

Nach dem rachenaufrauenden Vorspiel beim Schnelltest geht es zur Baustelle. Die FFP2 verwächst im Dauergebrauch mit dem Gesicht, was die Frage provoziert: Muss denn so ein Vor-Ort-Termin derzeit überhaupt sein? Mittlerweile sind doch alle digital so geübt, dass man das auch virtuell machen könnte. Die Antwort gibt es vor dem Haupteingang der Uniklinik. Dort haben sich vier Aktivisten mit einem Transparent positioniert, gut bewacht von zwei Klinikmitarbeitern, die die jungen Leute gerne vom Gelände verscheuchen würden – zumal der Ministerpräsident gerade im Anmarsch ist.

Doch die Protestler weichen nicht. Auf ihrem Plakat steht: „Für eine Gesundheit ohne Profite.“ Sie demonstrieren, erzählen sie, gegen die Unterfinanzierung des Krankenhauswesens im Land sowie die Schließung kleiner Standorte wie etwa in Havelberg (Altmark). Wäre der Spatenstich eine virtuelle Veranstaltung gewesen, dann hätten sie zwar protestieren können, gesehen hätte das jedoch keiner.

Dabei sind viele Kameras bei dem Termin anwesend. Die Uniklinik begleitet das Prozedere mit einem kleinen Medienmannschaft, die Stadt Halle hat einen Fotografen geschickt und sowohl Haseloff als auch Willingmann haben ihre Presseleute dabei. Gerade für Politiker sind Spatenstich-Termine wie gemacht, um sich als Macher zu inszenieren. „50 Millionen Euro für die Gesundheit in Sachsen-Anhalt“ - das klingt auf jedem Onlinekanal gut.

Es ist nicht alles schlecht

Angeführt von Klinikchef Thomas Moesta geht es nun auf die Baustelle. Dabei kommt es zur Passage der engen Gänge, die jedoch schnell überwunden wird. Ein Bauarbeiter, der gerade die Wände verputzt, zieht sich angestupst von seinem Vorgesetzten noch schnell die Maske hoch. Dann endet die Schlängelei in einem Raum im Rohbau-Zustand. Die Leitungen hängen offen an der Decke, der Boden ist purer Beton und beleuchtet wird die Szenerie von einem Baustrahler. Ein Provisorium, in dem jede hippe Berliner Galerie sicher gerne ihre nächste Vernissage veranstalten würde. In diesem Fall jedoch wurde der Raum gewählt, weil er nah an der Baustelle liegt und groß genug ist, um den 30 Gästen ausreichend Abstand zu ermöglichen.

Nacheinander werden die Grußworte abgespult. Die Redner halten sich an die Bitte, ihre Ausführungen kurz zu halten. Angesichts früher oft ausschweifender Monologe bei Spatenstich-Zusammenkünften kann das durchaus als Errungenschaft der Pandemie bezeichnet werden.

Dann geht es raus, ins Freie. Ein bisschen Erde wird durch die Luft geworfen. Für das obligatorische Foto dürfen die Protagonisten sogar die Maske lüften - allerdings erst, nachdem der 1,50 Meter Abstand geprüft wurde. Dann stehen alle noch für kurze Interviews bereit und in einem verglasten Verschlag, der an eine Bushaltestelle erinnert, werden Saft und Kaffee aus einer Pumpkanne serviert – es ist der Moment, in dem dann doch alles ein bisschen so ist wie immer auf einem Spatenstich-Termin. (mz/Julius Lukas)