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Mäuse nagten an Geschichte

Von Jan Möbius 13.04.2007, 17:17

Halle/MZ. - Mit schwerer Technik sind Berufsfeuerwehrleute am Donnerstag auf der Würfelwiese nahe der Peißnitz angerückt. Es war kein Unfall, zu dem die Männer der Südwache gerufen worden sind. Vielmehr waren sie in eigener Mission unterwegs, um eine Zeitkapsel zu bergen, die Otto Ule, Gründer der Feuerwehr Halle, dort vor 135 Jahren unter einem 2,5 Tonnen schweren Gedenkstein vergraben hat.

Ganz sicher waren sich die Beteiligten zunächst allerdings nicht, ob sich unter dem Granitquader zwischen den ebenfalls von Ule gepflanzten drei Friedenseichen tatsächlich eine Hülse mit einem Schriftstück befindet. "Zumindest Überlieferungen in alten Dokumenten ließen darauf schließen, dass die Kapsel dort am 11. April 1872 deponiert wurde", so Feuerwehrsprecher Hans-Joachim Klein. Doch nach einem kurzen Kraftakt kam die Kupferröhre unter dem Granitblock zum Vorschein.

Am Freitag wurde das Fundstück im Stadtarchiv von Stadtarchivar Ralf Jacob und Restauratorin Rosemarie Knobloch geöffnet. Feuerwehrleute und Historiker hatten gehofft, in der Röhre die Visionen Ules zur Zukunft Halles zu finden, der zwischen 1850 und 1876 Stadtverordneter war und sich mit Erfolg sozialen Problemen gewidmet hatte. Nach ihm ist auch eine Straße am Kirchtor benannt.

Doch der Zahn der Zeit und offenbar auch die Zähne zahlreicher Mäuse haben an dem Geschichtsdokument über die Jahre hinweg genagt. Im Innern der Zeitkapsel fand Jacob lediglich noch Reste eines offensichtlich gedruckten Dokumentes. "Daran kann man sehen, wie vergänglich Geschichte sein kann", so Jacob. Auf einem der Schnipsel, die jetzt wie ein Puzzle zusammengesetzt werden sollen, steht das Wort "Gerechtigkeit".

Den Überlieferungen zu Folge soll der 1820 geborene Ule, nachdem er die Zeitkapsel vergraben hatte, verfügt haben, das Rohr nach 100 Jahren wieder zu öffnen. "Doch 1972 schien man daran kein Interesse gehabt zu haben", so Klein, der mit seinen Kollegen bei den Recherchen im Vorfeld des 100. Geburtstages der Südwache auf den Gründungsvater der halleschen Feuerwehr aufmerksam wurde.

1868 wurde der studierte und promovierte Philosoph, der sich auch als Abgeordneter in Berlin einen Namen machte, an die Spitze der halleschen Turnerfeuerwehr gewählt, die als Vorläufer der modernen Feuerwehr gilt. Ule starb nach einem tragischen Unfall 1876 bei einem Einsatz in der Großen Ulrichstraße, den er selbst leitete. Ein Ziegelstein erschlug ihn.