Linienbus in Halle entführt Linienbus in Halle (Saale) entführt: Was mit dem Busfahrer nach der Horror-Fahrt geschah
Halle (Saale) - Als der junge Mann armwedelnd auf die Straße rannte, hatte Ralf Satter Mitleid. Er trat auf die Bremse, damit der Mann noch in den Bus steigen konnte. „Er sah aus als bräuchte er Hilfe.“ Was der Busfahrer da noch nicht wusste: er hatte gerade seinem Entführer die Tür geöffnet.
„Der kam rein und sagte, er will nach Las Vegas“, erzählt der Busfahrer heute. „Ich hielt das für einen Witz und habe nur gesagt, dass mir Las Vegas ein bisschen zu weit ist“. Sattler lachte, der Syrer nicht. „Er hat gedroht, mich zu schlagen und mich angeschrien“, so der Fahrer. Wieder und wieder brüllte der Entführer ihm entgegen, er solle losfahren, nach Las Vegas. Er meinte eine Diskothek in Neustadt. Sattler hatte Angst und fuhr los.
In dem entführten Bus saßen vier junge Leute
„Er stand die ganze Zeit neben mir, hat auf die Straße geguckt und immer wieder gesagt, ich soll schneller fahren.“ Bei einer Sicherheitsbelehrung habe Sattler gelernt, dass man in solchen Situationen nicht den Helden spielen solle. Auch nicht für Gäste. In dem entführten Bus saßen vier junge Leute. „Sie waren mucksmäuschenstill, und das war richtig so“, sagt der Busfahrer rückblickend.
Mit dem Linienbus raste er über rote Ampeln. „Es war pures Glück, dass uns keine Straßenbahn erwischt hat“. Währenddessen redete der 47-Jährige mit dem Entführer, von dem sich später herausstellte, dass er ein Messer dabei hatte. Der Syrer schlug wütend auf das Armaturenbrett, wenn der Bus bremsen musste.
Zu Beginn der Horror-Fahrt hatte er den Notknopf gedrückt
Wenn Sattler heute davon erzählt, überschlagen sich seine Worte fast. Er sagt, er sei an dem Abend im Juli nur nicht in Panik verfallen, weil er jeden Moment mit Hilfe gerechnet habe. Zu Beginn der Horror-Fahrt hatte er den Notknopf gedrückt. „Mir wurde gesagt, dass die Zentrale dann über das Mikrofon mithören kann, was im Bus passiert.“ So oft es ging sagte er deshalb laut die Straßen an, in die er einbog - in der Hoffnung, dass ein Kollege Hilfe schickt. Aber niemand hörte mit.
Sattler vermutet, dass der Knopf abgeklemmt war. Nach zehn Minuten war die Fahrt vorbei. „Der hat sich bedankt als er ausstieg“, so der Hallenser über seinen Entführer. Die Polizei nahm den Fall auf, danach fuhr Sattler wieder an die Haltestelle, an der die Fahrt begann. Eine Runde machte er noch. Aber alles war plötzlich anders. „Ich konnte nur noch an die Entführung denken“, sagt Sattler.
Nach der Arbeit konnte er nicht mehr schlafen
Noch Tage später habe er sich nicht mehr auf den Verkehr sondern nur noch auf die Fahrgäste konzentrieren können. Er habe jeden gescannt: Ist der gefährlich, angetrunken oder aggressiv? Nach der Arbeit konnte er nicht mehr schlafen, seine Lebensgefährtin sagte, er sei seit dem Vorfall verschlossener geworden. Er wurde schließlich krankgeschrieben. „Als ich zurückkam, waren die Kollegen komisch drauf.“
Obwohl der Arzt dringend geraten habe, dass er ein paar Wochen keine Überlandfahrten machen soll, habe er nach kurzer Zeit wieder rangemusst. Und weil er mehrfach angesprochen habe, dass der Notknopf nicht funktioniere, sei er geschnitten worden. Zwei Wochen nach der Entführung entschied der Omnibusbetrieb Saalekreis (OBS), sich von dem Fahrer zu trennen.
Selbst die Leihfirma, über die Sattler angestellt war, kündigte ihm
Selbst die Leihfirma, über die Sattler angestellt war, kündigte ihm. OBS versichert, das alles habe nichts mit der Entführung zu tun. Auf die Frage nach dem defekten Sicherheitsknopf, verweist OBS auf die Havag, die Auftraggeber des OBS ist. Es sei die Aufgabe des städtischen Unternehmens, für Sicherheitstechnik zu sorgen.
Falsch - sagt wiederum die Havag. Sie sei allein für die Technik zuständig, die den Fahrgast betrifft - etwa den Kartenentwerter oder den Ticketautomaten. Laut Havag habe die Leitstelle die Entführung mitbekommen. Welche Maßnahmen ergriffen wurden, bleibt jedoch unbeantwortet.
Im Januar beginnt der Prozess gegen den Entführer. Dann wird Sattler als Zeuge aussagen. Außerdem will er sich gegen seine ehemaligen Arbeitgeber wehren. (mz)