Halle Halle: Schilf-Idyll am Stadtrand

Halle (Saale)/MZ. - "Natrix Natrix" war offenbar gerade auf dem Weg zum Angersdorfer Teich - zum Kleinen Angersdorfer Teich. Für die Ringelnatter war am Sonnabendvormittag die Straße neben der B 80 sicher der gefährlichste Teil, um unbeschadet zu dem kleinen Naturschutzgebiet am Rande Neustadts zu gelangen. "Es war tatsächlich eine Ringelnatter", versichert Jens Kuhpfahl, jeden Verdacht auf Naturschützer-Latein weit von sich weisend. Als Mitglied des Vereins "Natrix" konnte er das streng geschützte Reptil rechtzeitig identifizieren - und es umfahren. Der Verein kümmert sich gemeinsam mit Schülern des Südstadtgymnasiums um das Flächennaturdenkmal Kleiner Angersdorfer Teich.
Das sieben Hektar große Schutzgebiet liegt unmittelbar neben dem Großen Angerdorfer Teich mit dem städtischen Freibad. Und gleich neben der einstigen Schiffsgaststätte, die vergangenes Jahr ausbrannte. Das rostige Brand-Wrack und die verfallenen Gebäude bieten einen verheerenden Anblick - mitten im Flächennaturdenkmal.
Wer am Sonnabendnachmittag, zum Tag der offenen Tür, auf ausgeschildertem Pfad den versteckt liegenden Eingang zur Naturschutzstation Angersdorfer Teich findet, entdeckt ein ungeahntes Idyll. An der Grenze zwischen Halle und dem Saalekreis rauscht dichtes Schilf im Wind. Von der nur wenige Meter entfernten Bundesstraße ist nichts zu sehen, ebenso von einer weiteren Straße und Gärten, die hinter dem dichten Bäumen liegen. "Auf engem Raum haben wir hier bisher 82 Vogelarten beobachtet. Die Rohrweihe etwa, der einzige Greifvogel, der im Schilf brütet", sagt Natrix-Chef Torsten Albrecht. Die weiten Schilfflächen und das Flachwasser bieten auch Brutplätze und Nahrung für viele Wasservögel - Höckerschwäne, Stockente, Blessralle, Haubentaucher und Rohrsänger. Auch Eisvögel wurden gesehen; Kormoran und Graureiher sind häufige Gäste. "Wir haben 212 Pflanzenarten und 122 Pilzarten auf diesem kleinen Raum nachgewiesen." Überall rund um die kleine Station - eine Baracke am Ufer - hängen an Bäumen und Büschen insgesamt 50 Zettel mit deren lateinischen Namen.
1933 wurde die kleine ehemalige Tongrube als Teil des Freibades eröffnet. Auf der heutigen Insel stand der Sprungturm, das Wasser bedeckt die frühere Liegwiese. 1960 wurden die Pumpen abgeschaltet.
Biologielehrer Albrecht hat früher mit Schülern der 23. POS in Neustadt die kleine Station betreut, seit 18 Jahren sind es nun schon Helfer aus dem Südstadtgymnasium.
Alex und Sebastian Rost gehören dazu. Die Zwillinge staken im Ruderboot Gäste um die kleine Insel herum. "Schade, die Haubentaucher sind gerade weg", bedauert Alex. Und Sebastian sagt während der Tour: "Der Müll im See bereitet uns die größten Probleme. Die Leute schmeißen einfach ihren Dreck in den See." Die Achtklässler erleben Naturschutz ganz direkt. Diesmal können sie die Gäste nicht auf die Schilfinsel im See führen, weil sie seit vergangenem Jahr unter Wasser steht. "Seit dem starken Rückgang des Wasserspiegels 2006 ist er seit langem wieder gestiegen." Zur Pflege des Mini-Gebietes gehört auch, dass Bäume zurückgeschnitten und Wiesen erhalten werden. Die derzeit sieben Schüler der AG helfen auch bei der Schilfmahd - im Winter laufen sie dazu über das Eis -, um der zunehmenden Verlandung des Sees zu begegnen.
"Wenn hier nichts gemacht werden würde, wäre bald alles Wald, denn der See verlandet auch durch die Pflanzen immer mehr," sagt Albrecht. "Aber erstens gibt es nun mal diesen Schutzstatus, außerdem wäre ein Lebensraum mit großer Artenvielfalt verloren", sagt Torsten Albrecht.