1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Die Botschaft von Halle: Die Botschaft von Halle: 15.000 Menschen setzen starkes Zeichen

Die Botschaft von Halle Die Botschaft von Halle: 15.000 Menschen setzen starkes Zeichen

Von Walter Zöller 21.10.2019, 11:15
Die Moderatoren Sissy Metzschke und Holger Tapper führten durch das mehrstündige Programm.
Die Moderatoren Sissy Metzschke und Holger Tapper führten durch das mehrstündige Programm. Katrin Sieler

Halle (Saale) - Der Markt in Halle am Sonnabend kurz nach 16 Uhr: Zwischen Marktkirche und Rotem Turm drängen sich Tausende von Menschen. Später ist von mindestens 15.000 die Rede, so viele, wie seit Jahrzehnten nicht mehr zu einer Veranstaltung auf Halles zentralem Platz gekommen sind.

Auf der großen Bühne hat Mark Forster unter dem Jubel seiner Fans gerade seinen ersten Song beendet, als es ganz ruhig wird. „Wir beweisen, dass Liebe in der Überzahl ist. Schickt Liebe in die ganze Welt“, ruft der Sänger den Zuschauern zu.

Weltoffenheit statt Rassismus ist die Botschaft von Halle

Liebe, Toleranz und Weltoffenheit als Gegenentwurf zu Hass, Antisemitismus und Rassismus. Diese Botschaft wird am Samstag auf vielen medialen Kanälen weit über die Grenzen von Sachsen-Anhalt hinaus verbreitet.

Es ist die Antwort, die die große Mehrheit der Hallenser, aber auch Musikstars wie Mark Forster, Michael Schulte, Alice Merton, Klan und Joris sowie Max Giesinger während ihres Konzerts auf der Bühne geben. Es ist die eindringliche Reaktion auf den Anschlag vom 9. Oktober, als der 27-jährige Stephan B. zwei Menschen tötete und zwei schwer verletzte.

Nur dank glücklicher Umstände konnte er im halleschen Paulusviertel nicht in die zum Tatzeitpunkt voll besetzte Synagoge vordringen, um dort ein Blutbad unter jüdischen Mitbürgern anzurichten.

„Wir müssen klare Kante gegen Rechtsradikalismus zeigen“

#HalleZusammen - so lautet das Motto dieses Konzertevents, das die Initiatoren von Mitteldeutscher Zeitung, MDR, Radio Brocken, 89.0 RTL, Rockland, Radio SAW und der Stadt Halle in einem Kraftakt innerhalb weniger Tage organisiert haben.

Zum Gelingen tragen unter anderem auch die Staatskapelle mit Musikern des Landesgymnasiums Latina, der MDR-Rundfunkchor, das Ensemble des Neuen Theaters und das Ballett Rossa bei.

„Wir müssen klare Kante gegen Rechtsradikalismus zeigen“, sagt Max Giesinger, der als Sänger und Songwriter große Erfolge feiert, schon vor Beginn der siebenstündigen Veranstaltung. Nur was bedeutet das? Wie zeigt man im Alltag klare Kante, wie kann man sich gegen Antisemitismus und Rassismus zur Wehr setzen?

Laut widersprechen, wenn der Sitznachbar in der Straßenbahn subtile Vorurteile gegen Juden oder Flüchtlinge verbreitet? Im Verein den Ausschluss eines Mitglieds fordern, das sich mehrfach rassistisch geäußert hat? Und wie umgehen mit dem geistigen Nährboden, auf dem der Hass heranwächst?

Respekt und Trauer

Auf diese Fragen gibt es am Sonnabend viele Antworten. So sagen die Musiker vor Beginn des Konzert in einer kurzen Pressekonferenz unisono: Man sei viel zu lange auf dem rechte Auge blind gewesen. Es gelte nun ein „Zeichen gegen die Angst“ zu setzen. Gerade die Musik könne viele Menschen zusammenbringen:

„Wir sind gemeinsam mehr.“ Als unter anderem Liedermacher Joris, Songwriter Michael Schulte und Sängerin Alice Merton in Variationen diese Aussagen auf der Bühne wiederholen, gibt es jeweils lang anhaltenden Beifall.

Cornelia Kluss ist Lehrerin an einer Berufsschule, sie ist eine der vielen Tausend, die vor der Bühne stehen. „Wir dürfen nicht schweigen, wir müssen selbst kleine Dinge ansprechen“, sagt sie. Das gelte gerade auch im Umgang mit jüngeren Menschen, damit sich bei ihnen nicht Vorurteile gegen Minderheiten verfestigen.

Chor erinnert an Anschlagsopfer Jana L.

Wenig später geht auch Viola Rieck auf dieses Thema ein. Sie ist Leiterin der Frauenchöre „Missklang“ und „Klangwunder“, in denen auch Jana L. gesungen hat. Sie war das erste Opfer des Anschlages vom 9. Oktober. Getötet vom rechtsextremistischen Attentäter, nachdem die 40-Jährige ihn zuvor angesprochen hatte.

Die Chormitglieder erinnern in ihrem Auftritt auf der Bühne an das Anschlagsopfer - voller Respekt und Trauer. Am Schluss richtet Chorleiterin Rieck eine Bitte an das Publikum. „Jana hat den Mund aufgemacht. Ich möchte nicht, dass irgendjemand aus Angst schweigt.“

HFC, Saalebulls, Wildcats und Halle Lions setzen Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus

Auf die Bühne wird auch Sebastian Mai gebeten, Spieler des Fußball-Drittligisten HFC, der am Nachmittag fast zeitgleich sein Punktspiel in Mannheim gewinnt. Einer, der sich über den Sieg sehr gefreut hätte, war Kevin S. aus Merseburg (Saalekreis). Er war ein glühender HFC-Fan, bei Anhängern und Spielern sehr beliebt.

Der junge Mann wurde am 9.  Oktober von dem Attentäter in einem Döner-Imbiss wenige hundert Meter von der Synagoge entfernt erschossen. Er war ebenso wie Jana L. ein Zufallsopfer. Die schreckliche Tat hat auch Fans und Spieler des Vereins aufgewühlt - und mit anderen Sportlern der Saalestadt enger zusammenrücken lassen.

Große Vereine der Stadt - der HFC, die Saalebulls, die Wildcats und die Halle Lions - machen auf der Bühne mit einem großen Transparent deutlich, was für sie klare Kante bedeutet. Gewalt, Antisemitismus und Rassismus sollen in ihren Reihen keinen Platz haben.

Döner-Imbiss-Besitzer äußert Wunsch

Izzet Cagac betreibt den Döner-Imbiss, vor dem ebenso wie vor der Synagoge immer noch Hunderte von Kerzen brennen. Cagac und sein Mitarbeiter, der am Tattag in dem Imbiss gearbeitet hat, wünschen sich, dass die Hallenser gerade jetzt zusammenhalten. „Wir haben uns hier wohlgefühlt und wir werden uns hier wieder wohlfühlen.“

Katja Borggrefe ist Solohornistin in der Staatskapelle Halle, mit Kollegen und Schülern der Latina liefern sie gemeinsam einen Beitrag zum Gelingen des Konzerts. „Das ist eine tolle Veranstaltung im Kampf gegen Rechtsextremismus“, sagt die Musikerin nach ihrem Auftritt. Dieser Kampf sei bei weitem nicht nur eine Aufgabe von Polizei und Politik. „Wir tragen alle Verantwortung.“ Auch, indem man Menschen mitnehme, die sich zurückgesetzt fühlen und in eine gefährliche Isolation zu geraten drohen.

Politiker wie Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) oder Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) stehen als Zuschauer auf dem Markt - und nicht als Akteure auf der Bühne. Auch sie erleben für Konzerte ganz und gar untypische Szenen - und wie sich „klare Kante“ auch als Abgrenzung zu bestimmten Politikern artikuliert.

Tosender Beifall

Ist das Publikum in Umbaupausen normalerweise eher abgelenkt, ist es in Halle ganz anders. Die meisten Zuschauer hören konzentriert zu, als auf zwei großen Leinwänden die Videobotschaften von bekannten Künstlern wie Campino, Clueso oder Carolin Kebekus eingespielt werden.

Tosenden Beifall erhält Sebastian Krumbiegel von den Prinzen. Die „Alarmzeichen“, von denen nach dem rechtsradikalen Anschlag in Halle gesprochen worden seien, seien schon lange „für alle sichtbar“. Und wenn der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland den Nationalsozialismus als historischen „Vogelschiss“ bezeichne, dann sei das „Nazi-Sprech“.

Wenig später nimmt sich Matthias Brenner in einem kurzen, aber lautstarken Beitrag den Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke und auch dessen Anhänger vor. Wer Höcke wähle, wähle Krieg, Spaltung und Ausgrenzung, ruft der Intendant des Neuen Theater ins Mikrofon.

John-Lennon-Song „Imagine“ zum Finale des Gedenkkonzerts

All diese Statements sind eingebettet in ein Konzert, das trotz des traurigen Anlasses über viele Stunden beste Unterhaltung bietet. Die Stimmung ist nicht überschwänglich, aber fröhlich. Songwriter Joris heizt dem Publikum mit seiner Musik und seiner Bühnenshow mächtig ein.

Popmusikerin Alice Merton überzeugt mit ihren leisen Stücken, Max Giesinger begeistert vor allem seine jüngeren Fans, als er sich singend unter das Publikum mischt. Und Mark Forster gelingt das Kunststück, aus einen kurzen Stromausfall eine tolle Show zu machen - mit lautstarker Unterstützung des mitsingenden Publikums.

Kurz nach 21 Uhr dann das Finale des Gedenkkonzerts: Joris, Max Giesinger und Michael Schulte treten nach vorne und stimmen gemeinsam den John-Lennon-Song „Imagine“ an. Viele Zuschauer schwenken das zur Taschenlampe umfunktionierte Smartphone hin und her. (mz)

Kommentar zu Gedenkkonzert: Die Stadt Halle hält zusammen.

Das Finale des siebenstündigen Gedenkkonzerts auf dem halleschen Marktplatz: Während Musiker auf der Bühne den John-Lennon-Song „Imagine“ singen,  schwenken Tausende von Zuschauern ihre zu Taschenlampen umfunktionierten Handys.
Das Finale des siebenstündigen Gedenkkonzerts auf dem halleschen Marktplatz: Während Musiker auf der Bühne den John-Lennon-Song „Imagine“ singen,  schwenken Tausende von Zuschauern ihre zu Taschenlampen umfunktionierten Handys.
Katrin Sieler
Der Marktplatz am Nachmittag: Schon zu dieser Zeit ist an vielen Stellen kein Durchkommen mehr.
Der Marktplatz am Nachmittag: Schon zu dieser Zeit ist an vielen Stellen kein Durchkommen mehr.
 Katrin Sieler
Echte Fans: Ein Junge und eine Frau stehen in der ersten Reihe und begrüßen die Musiker mit einem Plakat.
Echte Fans: Ein Junge und eine Frau stehen in der ersten Reihe und begrüßen die Musiker mit einem Plakat.
Katrin Sieler