1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Demenz: Demenz: Nichts ist geblieben

Demenz Demenz: Nichts ist geblieben

Von Anja Herold 21.08.2012, 19:03

Halle (Saale)/MZ. - Ob er noch einen Schluck Kaffee möchte, fragt Christiane Heinrich ihren Mann. Ein klares "Ja" hat sie schon lange nicht mehr gehört von Arthur, aber sie deutet sein leichtes Kopfnicken. "Wenigstens versteht er noch, was ich sage." Immerhin. Denn Christianes Mann kann sich nicht mehr äußern, vor einem Jahr etwa verschwand auch seine Sprache. Er leidet an Alzheimer-Demenz, vermutlich hat er die Anlage dazu von seiner Mutter geerbt, die ebenfalls an der Erkrankung litt.

Als sein Glück im Unglück könnte man es nennen, dass er zu Hause gepflegt wird von seiner Frau und zudem zwei Stunden in der Woche mit einem Seniorenbetreuer verbringt. Im Nachhinein, sagt Christiane Heinrich, sähe man natürlich die ersten Anzeichen der Krankheit, nur wusste man sie damals nicht zu deuten. Arthur war Anfang 50, als er eine Umschulung machte. Und da fiel auf, dass er, der intelligente Mann, sich plötzlich nur noch schlecht Dinge merken konnte. Das Alter eben, dachten beide. Dann aber kam es vor, dass Arthur in Berlin, wo das Paar damals lebte, am falschen Bahnhof aus der S-Bahn ausstieg. Oder er verlief sich auf seinen langen Spaziergängen.

Der sonst gesellige Mann zog sich zurück, es fiel ihm schwer, Gesprächen zu folgen. Er ging auch nicht mehr schwimmen. Dann vergaß er den Geburtstag seiner Frau. Seiner zwei Kinder. Und schließlich seinen eigenen.

Die Hausärztin empfahl Gingko, die Ehefrau kämpfte um einen Termin bei einem Spezialisten. Noch keine 60 war Arthur da, und bislang hatte er über die Probleme nie geredet. Die ersten schlechten Testergebnisse wiegelte er noch ab: "In Mathe war ich nie gut." Vor ziemlich genau sieben Jahren dann die Diagnose: mittelschwere Demenz.

Ihren Beruf, Kindergärtnerin in Berlin-Charlottenburg, empfahl die Neurologin, solle Christiane Heinrich aufgeben. Die Krankheit erfordere alle Zeit. Die Ehefrau gab auf. Den Beruf, das Haus in der Schorfheide. Schließlich das geliebte Berlin, das Paar zog nach Halle, eine Tochter lebt hier. "Das Leben wurde eingeengter mit der Zeit, wir hatten immer weniger Kontakte. Der Freundeskreis ist kleiner geworden". Christiane Heinrich sagt, sie müsse jetzt immer die Tür abschließen, Arthur wäre sonst weg.

Vor drei Jahren schlug die Krankheit richtig zu. Heute windelt sie den 73-Jährigen. Sie füttert ihn, wäscht ihn. Die Nächte, erzählt sie, seien manchmal ganz schlimm gewesen. Arthur habe schlecht geschlafen, sei in den Schrank geklettert oder in der Wohnung umhergelaufen. "Ich hab auch mal gebrüllt. Manchmal war ich wirklich sehr verzweifelt." Im Moment gehe es aber ganz gut, Arthur schlafe dank der Medikamente gut. Was ist übriggeblieben von dem Mann, den sie 1965 geheiratet hat? "Nichts. Da ist nichts mehr da." Christiane Heinrich spricht mit fester Stimme. Sie ist eine fröhliche Frau, die gerne erzählt. Und inzwischen denkt sie auch wieder an sich. Zweimal war sie schon allein in Südindien im Urlaub, demnächst fährt sie vier Wochen nach Nepal zur Ayurveda-Kur. Arthur geht dann in eine Kurzzeitpflege. Das hilft ihr beim Luftholen, und dann ist da seit einem Jahr auch noch Jan Swerepa.

Der 39-Jährige ist selbstständiger Seniorenbetreuer der Agentur "Zeitsprünge". Sieben kranken oder alten Menschen hilft er derzeit, zu Arthur geht er zwei Stunden pro Woche: "Ich gehe meist mit ihm spazieren, das liebt er." Seine Frau könne unterdessen eigene Termine wahrnehmen. Oder ausruhen. Swerepa übernimmt auch Arztbesuche, Einkäufe oder Ämterwege. Das Betreuungsgeld, das er dafür erhält, wurde eigens dafür geschaffen. "Um die Familien zu entlasten und damit die Betroffenen nicht ins Heim müssen", sagt er. Christiane Heinrich ist dankbar für die Hilfe. Sie versteht sich gut mit Jan, auch Arthur reagiere positiv, wenngleich er ihn nicht erkennt. Gelassen und fröhlich redet der Junge mit dem Alten. Zwar antwortet der nicht, aber er versteht ja noch.

Das letzte Stück Kuchen hat Arthur geschluckt, die Frau wischt ihm den Mund ab. Warum hat sie, die immerhin auch schon 67 Jahre alt ist, die Bürde auf sich genommen? "Ich hab mir schon auch Heime angesehen. Aber 48 Jahre Ehe wirft man nicht so einfach weg." Und sie geht mit ihrem Mann ins Bad.