Konzert in der Marienkirche Konzert in der Marienkirche: Die Verschwendung des Augenblicks
Dessau/MZ. - Und während man noch darüber nachsinnt, warum ausgerechnet die heißen Farben des Scheinwerferlichts den kühlen Ton im Fenster seiner Vollendung zutreiben, hat man bereits jene chromatische Lektion gelernt, deren Bedeutung die Musiker der Dessauer Band seit langem kennen und beherzigen. Ein "fröhliches Lied über die Einsamkeit" wird als Nächstes angekündigt werden, bei dem ein Fingerschnippen die verrinnende Zeit misst und das triste Wort "Loneliness" in vielfacher Wiederholung seinen Schrecken verliert ... Willkommen zur Feier des Paradoxen!
Abermals haben sich die Musiker ihre Muße für dieses Zusammentreffen von der Hektik des Alltags abgespart - und wieder gehen sie nun mit diesen Augenblicken verschwenderisch um. Ein ganzes Streichquartett gönnt sich "l'arc six" - neben den bereits vertrauten Gästen an der Gitarre und am Bass - diesmal für seinen Auftritt, der mit dem leicht haftenden Etikett "Tradition" nur unzureichend beschrieben ist. Denn selbst wenn die Konzerte inzwischen eine treue Gemeinde versammeln, die das Kirchenschiff mühelos füllt, sind sie von Routine doch meilenweit entfernt. Das liegt einerseits an der Beharrlichkeit, mit der die sechs Kern-Musiker ihrem Repertoire neue Titel hinzufügen - und andererseits an der Lust, mit der sie ihre erprobten Songs zu neuer Kenntlichkeit verändern.
So verwandelt sich "Seven Wonders" auch dank des satten Streicher-Arrangements wirklich in ein Farbgewitter, das die ganze Spannweite eines Regenbogens ausleuchtet. So wird aus der einstigen Werbung "Say You're Mine" eine entschlossene Aufforderung, während "The Island" zumindest zeitweise in träger Sinnlichkeit badet oder ein orientalischer Wind den "Snow" schmilzt. Solche Überraschungen im Vertrauten verstärken das Vergnügen am Neuen, das bis hin zur indischen Völkerkunde im Räucherstäbchen-Duft mit dem Drang zur Perfektion und mit dem Hang zur Selbstironie vorgetragen wird. Bei Liedern wie "Twilight" möchte man sich mit geschlossenen Lidern in die Ferne träumen - um dann doch mit staunend aufgerissenen Augen festzustellen, dass man immer noch in der sonst so geschmähten Stadt Dessau sitzt.
Am Ende aber vereint ein letztes kleines Wunder all jene Qualitäten, die diesen Abend wertvoll werden ließen: Mit "Der Mond ist aufgegangen" erweist "l'arc six" einem jener Dichter Referenz, dessen menschliche Deutung der Natur durchaus als Vorbild für die eigenen Titel der Band gelten darf. Und Kristin Wieduwilt singt sich mit ihrer immer wunderbarer werdenden Stimme für einen Moment selbst die Augen zu.