Glücksspieler am Automaten verlieren leicht die Übersicht
DESSAU/MZ. - Sie hängen in vielen Gaststätten und laden mit ihren lustig bunten Lichtern förmlich dazu ein, doch mal ein Knöpfchen zu drücken - Spielautomaten. Für Claudia Misterek, Leiterin der Suchtberatungsstelle der Arbeiterwohlfahrt (Awo), sind diese in den letzten Jahren zum Inbegriff vieler Probleme geworden. "Wir haben in den letzten Jahren einen wachsenden Zulauf von Menschen, die glücksspielsüchtig sind", berichtet sie. "Und die Mehrzahl von ihnen ist automatenspielsüchtig."
Die Therapeutin weiß auch warum: Von diesen Automaten geht ein großes Gefährdungspotential aus, erläutert sie. Man benötigt für ein Spiel nur einen geringen Geldeinsatz. Durch die rasend schnelle Spielabfolge - ein Spiel dauert nur fünf Sekunden - verlieren die Spieler schnell den Übersicht, können Gewinn und Verlust gar nicht so schnell überblicken. "Hinzu kommt, dass der Spielausgang vom Zufall abhängig ist, das heißt, er ist nicht steuerbar, "obwohl die Illusion vermittelt wird, dass man Einfluss nehmen könnte." An solchen Spielautomaten können Spieler einen maximalen Verlust pro Stunde von 80 Euro erleiden, der maximale Stundengewinn liegt bei 500 Euro. Auch in dieser relativ hohen Gewinn-Charge sieht Claudia Misterek eine große Gefahr. "Es suggeriert, ich kann mehr gewinnen als verlieren." Viele spielen an mehreren Automaten gleichzeitig. Das potenziert nicht nur die Gewinnchance, sondern auch den möglichen Verlust. Im Durchschnitt verlieren Automatenspieler in der Stunde 33 Euro.
Doch nicht nur Automaten "verführen" zum Glücksspiel. Spiele, bei denen gegen einen relativ geringen Einsatz ein großer Gewinn winkt, sind weit verbreitet und gehören zum Alltag: Lotto, Sportwetten, Glücksspirale, Telefonspiele im Fernsehen und auch die hochspekulativen Börsengeschäfte gehören dazu. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat im vergangenen Jahr jeder zweite Deutsche im Alter von 16 bis 65 um sein Glück gespielt. 1,1 Prozent (600 000) von ihnen, so eine Schätzung der Bundeszentrale, zeigten ein problematisches oder krankhaftes Verhalten. Glücksspielsucht ist erst seit 2001 eine anerkannte Krankheit. "Sie fällt lange Zeit nicht auf", benennt Claudia Misterek ein großes Problem. Denn zunächst sind keine krankhaften Veränderungen feststellbar. "Spieler haben früher oder später Schulden", nennt sie ein wesentliches Merkmal. Wenn Angehörige oder Freunde also beginnen, sich unter Vorwänden Geld zu leihen, oder gar versuchen, Geld zu stehlen - aus der Kaffeekasse der Kollegen beispielsweise oder der Sparbüchse des Kindes - dann sollten die Alarmglocken schrillen. "Die Betroffenen verstricken sich in einem Gespinst aus Lügen, Heimlichtuerei und Schuldgefühlen, so dass der Not- und Leidensdruck derart wächst, dass sich viele zusätzlich in Alkohol und Drogen flüchten."
Die Awo-Suchtberatung in der Parkstraße 5 bietet ambulante Hilfe in Form von Einzelgesprächen, einer fachlich geleiteten Gruppe für Betroffene und ihre Angehörigen sowie einer Selbsthilfegruppe an. "Zu uns kann jeder kommen, der Hilfe braucht, ohne Bedingungen", betont Claudia Misterek. Anfangs würden die Therapiemöglichkeiten besprochen. "Wir beziehen von Anfang an die Familie mit ein, denn sie ist mitbetroffen und muss vor dem finanziellen Ruin geschützt werden." Langfristiges Ziel jeder Therapie ist die Abstinenz vom Glücksspiel. Bevor aber an den Ursachen und Hintergründen der Sucht gearbeitet werden kann, muss die akute Existenzbedrohung abgewendet werden, wenn nötig, auch mit Hilfe einer professionellen Schuldnerberatung. "Das ist für uns die erste wichtige Aufgabe." Wenn dies nicht geregelt sei, hätten die Betroffenen den Kopf nicht frei, um sich auf die Therapie einzulassen.
Es finden deutlich mehr Männer als Frauen den Weg in die Suchtberatung, sagt Claudia Misterek. "Was aber nicht heißt, dass wirklich so viel weniger Frauen glücksspielsüchtig sind." Vielmehr vermute sie, dass bei Frauen die Hemmschwelle, eine Beratungsstelle aufzusuchen, viel größer ist als bei Männern, da auch die gesellschaftliche Ächtung glücksspielender Frauen viel größer ist. Deshalb begrüßt die Familientherapeutin sehr, dass der 2008 verabschiedete Glücksspiel-Staatsvertrag ausdrücklich Maßnahmen zur Prävention fordert und das Problem der Glücksspielsucht prinzipiell mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt. In Sachsen-Anhalt wurde im November vorigen Jahres in Trägerschaft der Liga der freien Wohlfahrtspflege eine Landeskoordinationsstelle zur Prävention des pathologischen Glücksspiels in Magdeburg eingerichtet.