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Frühjahrsspaziergang auf dem Friedhof Frühjahrsspaziergang auf dem Friedhof: Grabsteine erzählen Geschichte und Geschichten

Von danny gitter 08.04.2013, 18:44
Wenn Hans-Joachim Mellies zum Spaziergang über den historischen Friedhof III bittet, ist das Interesse der Dessauer stets groß.
Wenn Hans-Joachim Mellies zum Spaziergang über den historischen Friedhof III bittet, ist das Interesse der Dessauer stets groß. SEBASTIAN Lizenz

dessau-rosslau/MZ - Noch in der Ewigkeit sind ihre Namen zu erkennen. Die Reichen ebenso wie die Gebildeten, die Künstler, Strategen, die weniger Begüterten und Gottesfürchtigen. Zahlreiche Grabsteine auf dem Friedhof III erzählen zahlreiche Geschichten. Es sind Geschichten vom guten Leben, aber auch von Dramen und Tragödien. Es sind Geschichten, die darauf warten, erzählt zu werden.

Hans-Joachim Mellies, einst 25 Jahre Mitarbeiter des Dessauer Museums für Stadtgeschichte, hat viele von diesen Geschichten recherchiert und aufgeschrieben. Am Sonntag nahm er die zahlreichen Neugierigen mit zum traditionellen Frühlingsspaziergang zu den Gräbern historischer Persönlichkeiten auf den Friedhof III. 430 Mal 450 Meter, also rund 19 Hektar, bieten genug Stoff für das Abbild einstigen städtischen Lebens und Ruhe in Ewigkeit.

Inbetriebnahme 1889

„So ein Friedhof ist wie ein Geschichtsbuch“, sagt Mellies. Das erste Kapitel des Friedhofs III begann mit dessen Inbetriebnahme 1889. Bewilligt hatte ihn der damalige Oberbürgermeister Friedrich Funk, der nur acht Jahre später schon dort selbst seine letzte Ruhe fand. Es war das Jahr 1897, als ein Muldehochwasser in der Stadt verheerende Schäden anrichtete. Funk wurde für Versäumnisse scharf angegriffen, die er nicht verschuldet hatte - und erschoss sich in seinem Dienstzimmer. Ein prächtiger Grabstein, durch Gebüsch eher versteckt als gut sichtbar, und der Funkplatz in Dessau-Nord erinnern noch heute an das ehemaligen Stadtoberhaupt.

Der Tross und Mellies ziehen weiter. Es geht vorbei am Grab von August Klughardt, einem Dirigenten und Komponisten. Eine aufwendig gestaltete Büste ziert dessen letzte Ruhestätte. Emanuel Semper, der jüngste Sohn des berühmten Baumeisters, der selbst auf dem Friedhof III seine letzte Ruhe fand, hat dieses Werk für die Ewigkeit geschaffen.

Es ist erstaunlich viel Kunst im Spiel an einzelnen Begräbnisstätten. Es war aber schon mal mehr zu sehen als heute. „Zum Teil haben Grabräuber in der Vergangenheit ganze Arbeit geleistet und diese Schätze unwiederbringlich verschwinden lassen“, hat Mellies für dieses Kapitel Friedhofsgeschichte nur ein Kopfschütteln übrig.

Bei anderen Begebenheiten kann der Dessauer Geschichtsforscher dagegen schmunzeln. Hier ruht in Frieden: der Weichensteller, der Lokomotivführer, der Postdirektor, der Hofrat usw. Hier muss der Beruf wohl wirklich eine Berufung gewesen sein, dass es auch nach dem Ableben noch in Stein gemeißelt den folgenden Generationen zur Kunde reicht. „Titel spielen im Leben wie auf Grabsteinen eine wichtige Rolle“, erklärt Mellies.

Und wie im richtigen Leben, gibt es nach dem Ableben manchmal auch mehr Schein als Sein: Nicht jeder in Stein gemeißelte Fabrikant war tatsächlich von großindustrieller Bedeutung. „Manchmal verbirgt sich hinter der Bezeichnung auch nur eine Hinterhofwerkstatt“, hat Mellies durch seine Recherchen schon manche Hochstapelei aufgedeckt.

Es liegen aber auch Unternehmerpersönlichkeiten von Rang auf dem Dessauer Friedhof III. Die Frühlingsspaziergänger flanieren vorbei an dem Familiengrab der Brauereid-Dynastie Schade, der namhaften Druckerfamilie Dünnhaupt, dem einstigen Hotelbesitzer Albert Engel und dem Familiengrab der Kaufhausbesitzer Seiler, die dort, wo heute das Dessau-Center steht, die Dessauer einst in die Welt des Konsums eintauchen ließen. Die Gräber sind teilweise gewaltige Monumente - und erzählen trotzdem nicht immer von Glanz und Gloria der Beerdigten. Der frühe Tod eines Kindes ließ die Kaufhausbesitzer im Schmerz versinken. Der einst erfolgreiche Unternehmer Karl Köckert wurde kurz vor Kriegsende wegen Spionageverdachts durch das NS-Regime hingerichtet. Bewiesen ist die Tat bis heute nicht.

Recherche geht weiter

Unendlich viele große und kleine Geschichten kann Mellies erzählen. Selbst nach rund zwei Stunden ist ihm der Stoff noch nicht ausgegangen. Für ihn ist der Friedhof III ein Geschichtsbuch, das noch viele weiße Seiten hat. „Ich recherchiere weiter“, sagt Mellies. Denn er will noch mehr erfahren und seine Erkenntnisse auch beim nächsten Frühlingsspaziergang wieder den interessierten Dessau-Roßlauern zum Besten geben.