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Diskussion im Alten Theater Dessau „Der Staat ist unglaubwürdig“: Gibt es Parallelen zu den Ermittlungen beim NSU und im Fall Oury Jalloh?

16 Jahre danach ist der Feuertod von Oury Jalloh in einer Polizeizelle Thema öffentlicher Debatten. Im Alten Theater diskutierten Mouctar Bah und Heike Kleffner.

Von Thomas Steinberg Aktualisiert: 05.11.2021, 11:01
Journalistin Heike Kleffner und Mouctar Bah waren am Mitwoch im Alten Theater  Gäste von Kornlius Luther in der Gesprächsreihe „Paroli“.
Journalistin Heike Kleffner und Mouctar Bah waren am Mitwoch im Alten Theater Gäste von Kornlius Luther in der Gesprächsreihe „Paroli“. (Foto: Thomas Steinberg)

Dessau/MZ - Am Abend nach dem Feuer standen sie im Telecafé und diskutierten. Wie ist es überhaupt möglich, dass jemand in einer Polizeizelle verbrenne. Jedenfalls in einer deutschen Polizeizelle. Eigentlich unmöglich, meinten die einen. Nun, man sei schließlich in Ostdeutschland, die anderen. „So ging der Streit bis 23 Uhr“, erinnert sich Mouctar Bah, geboren in Guinea, 2003 nach Dessau gekommen, am Mittwochabend auf dem Podium im Alten Theater.

„Paroli“ heißt eine Reihe, in der Schauspieldramaturg Kornelius Luther zwei Menschen zusammenbringt, die über ein Thema sprechen. Am Mittwoch war das neben Bah, einem der zentralen Mitstreiter in der Oury-Jalloh-Initiative, Heike Kleffner, als Journalistin spezialisiert auf Themen wie rechte Gewalt und Rassismus. Der Tag war nicht zufällig gewählt - zehn Jahre zuvor war der NSU aufgeflogen.

Journalistin Kleffner zieht Parallelen zwischen den NSU-Ermittlungen und denen zum Feuertod Jallohs im Jahre 2005

Sie sieht in den Ermittlungsbehörden einen institutionellen Rassismus am Werke (womit nicht gesagt sei, dass einzelne Polizisten oder Staatsanwälte rassistisch seien), und macht dies am von ihr so genannten NSU-Komplex deutlich: Thesen, dass die Mörder Rechtsextreme sein könnten, seien beiseite geschoben und statt dessen konstatiert worden, dass die Brutalität der Taten „orientalische“ Züge aufweise. Da könne man ebenso argumentieren, die Steuerhinterziehungen eines Uli Hoeneß seien typisch bayrisch.

Mouctar Bah war ein Freund von Oury Jalloh. Er lebt seit 2003 in Dessau.
Mouctar Bah war ein Freund von Oury Jalloh. Er lebt seit 2003 in Dessau.
(Foto: Thomas Steinberg)

Kleffner zieht Parallelen zwischen den NSU-Ermittlungen und denen zum Feuertod Jallohs im Jahre 2005, weil man andere Erklärungen - wie die Mordthese - offiziell nicht erwäge. Nach den Erfahrungen mit dem NSU-Untersuchungsausschuss, der ein weitreichendes Versagen der Behörden zutage förderte, sei es unverständlich, dass der Landtag Sachsen-Anhalt einen Untersuchungsausschuss zum Fall Jalloh ablehne. „Oder es ist umso verständlicher.“

Rund 250.000 Euro hat die Initiative Oury Jalloh bislang für Anwälte und Gutachter ausgegeben

Bah schildert, wie er erst im Laufe der Ermittlungen zum Schluss gekommen sei, dass Jalloh ermordet worden sei, vor allem, nachdem von dessen Familie und der Initiative angestrengte Untersuchungen andere Ergebnisse ergeben hatten als die offiziellen. Noch am Mittwochvormittag hatte die Initiative ein weiteres Brandgutachten des britischen Experten Ian Peck vorgestellt, der überzeugt ist, dass der gefesselte Jalloh mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angesteckt wurde.

Rund 250.000 Euro hat die Initiative bislang für Anwälte und Gutachter ausgegeben, bislang ohne greifbares juristisches Ergebnis. Als Bah nach seiner Motivation gefragt wird, dennoch weiterzumachen, erwidert er. „Ich kann meine Hautfarbe nicht ausziehen. Und wir müssen diesen Weg gehen, sonst können wir nicht zum Europäischen Gerichtshof gehen.“

Ob und wann der Tod von Jalloh dort verhandelt wird, ist ungewiss. Zumindest für einige Mitglieder scheint dies längst nicht mehr der entscheidende Punkt. Nach 16 Jahren setzen sie längst nicht mehr auf den Staat. „Der“, meint eine Frau am Ende der Veranstaltung, „ist unglaubwürdig.“