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Ausstellung im Stadtarchiv Dessau Ausstellung im Stadtarchiv Dessau: Anhalt auf fremden Feldern

Von DANNY GITTER 27.09.2014, 08:42
Eine umfangreiche Sammlung von Zeitdokumenten zeigt das Stadtarchiv zum Ersten Weltkrieg.
Eine umfangreiche Sammlung von Zeitdokumenten zeigt das Stadtarchiv zum Ersten Weltkrieg. L. Sebastian Lizenz

Dessau - Renate Schulze, war sofort elektrisiert. Das Schicksal von Schülern höherer Dessauer Bildungseinrichtungen im Ersten Weltkrieg wollte die Geschichtslehrerin am Philanthropinum in der zweiten Hälfte des vorigen Schuljahres recherchieren und als Beitrag zu einem landesweiten Geschichtswettbewerb einsenden lasen. „Unsere Begeisterung hielt sich dagegen zu Beginn in Grenzen“, blickte am Donnerstagabend Rainer Schild, Schüler der 10c des Philanthropinums, auf das vergangene Schuljahr zurück. Der Erste Weltkrieg, der liegt für die Jugendlichen gefühlte Ewigkeiten zurück. 100 Jahre sind eine lange Zeit und trotzdem noch in vielen Familien präsent.

„Es gibt nicht wenige Angehörige und Nachfahren von Soldaten, die noch heute Feldpostbriefe und andere historische Dokumente dieser Zeit in Ehren halten“, berichtete am Donnerstagabend Frank Kreißler, Leiter des Stadtarchivs, in der gut besuchten Marienkirche.

Die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie Historiker die Auseinandersetzungen zwischen 1914 und 1918 auch nennen, bewegt auch 100 Jahre danach. Eine Ausstellung mit der Überschrift „Da kam ein Brief von fremder Hand... - Schicksale von Soldaten aus Dessau und Roßlau im Ersten Weltkrieg“, die noch bis zum 7. November in den Räumen des Stadtarchivs zu sehen ist, wurde am Donnerstagabend mit ihrem offiziellen Teil, musikalisch eingerahmt von Schülern des Philanthropinums, ganz bewusst in der Marienkirche eröffnet. Wegen der zu erwartenden Resonanz aus der Bevölkerung, wo die Platzkapazitäten in der Langen Gasse schnell an ihre Grenzen gestoßen wären. Im Anschluss ging es ins Stadtarchiv.

Schon im Vorfeld war Kreißler von der Resonanz auf seinen Aufruf, Erinnerungsstücke aus der Zeit des Ersten Weltkriegs dem Stadtarchiv für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen, überrascht. „55 Bürger unserer Stadt haben uns zahlreiche Fotos und Dokumente zur Verfügung gestellt. Es sind dabei mehr als 4500 Einzelstücke zusammengekommen, und wir sind mit dem Zählen immer noch nicht fertig“, ist Kreißler überwältigt.

Zahlreiche Fotos und Feldpost als authentische Zeugen dieser Zeit zeigen im Stadtarchiv den Besuchern die anfängliche Euphorie, in den Krieg ziehen zu dürfen, der wohl in ein paar Wochen schon wieder vorbei sein würde und die Ernüchterung, als aus Wochen, Monate und Jahre wurden. Als die Industrialisierung ihre hässlichste Schattenseite zeigte und Effizienz sowie technischer Fortschritt nicht nur den zivilen Alltag, sondern auch das Leben auf den Schlachtfeldern mit Giftgas, Panzern und Luftkrieg bestimmte. Auf bizarre Weise hat der Mensch die Landschaften, allen voran bei Ypern und an der Somme durch den Krieg geformt. Stahlhelme, Pickelhauben, Kriegspropaganda der Gegner, Listen und Ausweise sowie Zeichnungen des Dessauer Kunstlehrers Erich Streuber, der sowohl an der Ost- als auch Westfront kämpfte und überlebte, komplettieren im Stadtarchiv das Mosaik dieser Zeit, vor allem aus dem Blickwinkel Dessauer und Roßlauer Soldaten.

Es ist eine Zeit, die dann auch irgendwann die damaligen Neuntklässler des Philanthropinums im vergangenen Schulhalbjahr nicht mehr los ließ. „Wir gingen in Archive, was uns völlig fremd war“, erzählte zur offiziellen Ausstellungseröffnung in der Marienkirche Rainer Schild. Aus Skepsis wurde Neugier und echtes Interesse. Das Thema zog die Klasse in den Bann. Sie wollten wirklich wissen, was mit ihren Altersgenossen vor 100 Jahren passierte. Sterberegister wurden durchforstet, die Friedhofsverwaltung kontaktiert, Großeltern, als Träger von überliefertem Wissen und Erleben, involviert. Herausgekommen ist die Webseite „wettbewerbsbeitrag.philan.de“, womit sich die jetzige 10c beim Landesgeschichtswettbewerb bewirbt. „Am Ende hat es doch Spaß gemacht“, konstatierte Schild.

Die Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg, um Freiheit und Demokratie zu schützen, das hält Peter Kuras gerade im Hinblick auf die Jugend für unverzichtbar. „Es ist keineswegs selbstverständlich in Frieden zu leben, wie uns die aktuellen Konflikte auf der Welt beweisen“, mahnte der Oberbürgermeister in seinem Grußwort zur Ausstellungseröffnung. Den Sommer, der so tragisch endete, reflektierte Oberst Hubertus Mack, Kommandeur des Zentrums für Militär- und Sozialgeschichte der Bundeswehr in Potsdam, in einem Vortrag, mit dem Fazit, dass die Chance zum Frieden bestand, sie aber durch Fehlentscheidungen zunichte gemacht wurde.

Oberst Hans-Hubertus Mack während der Ausstellungseröffnung im Gespräch mit Archivleiter Frank Kreißler und Lehrerin Renate Schulze.
Oberst Hans-Hubertus Mack während der Ausstellungseröffnung im Gespräch mit Archivleiter Frank Kreißler und Lehrerin Renate Schulze.
Lutz Sebastian Lizenz