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Hochwasser in Anhalt-Bitterfeld Hochwasser in Anhalt-Bitterfeld: Ein sehr schönes "Heim"

Von silke ungefroren 10.06.2013, 17:22
Bei der Einsatzleitung werden die Details und Maßnahmen abgestimmt.
Bei der Einsatzleitung werden die Details und Maßnahmen abgestimmt. mz Lizenz

sandersdorf/MZ - Auf dem Sandersdorfer Sportgelände sieht es derzeit aus wie in einem kleinen Camp. Tische und Stühle stehen da, eine Feldküche, zwischendrin sieht man viele ältere Leute - auch mit Rollstuhl. Die Atmosphäre wirkt gelöst. Am Sonntagvormittag allerdings sind viele von ihnen etwas aufgeregter als sonst. Sie freuen sich: Gleich geht es mit Bussen nach Brehna zum Kinder- und Heimatfest.

So normal das jetzt klingen mag, ist es eigentlich alles andere als das. Eine Art „Camp“ befindet sich hier zwar wirklich gerade, aber es handelt sich um Notunterkünfte wegen der Hochwassersituation. Seit am Dienstag voriger Woche der Aufruf zur Evakuierung in Bitterfeld kam, sind in der Mehrzweckhalle und auch in der Ballsporthalle Bewohner aus mehreren Alten- und Pflegeheimen sowie einige einzelne Personen untergebracht.

„Zusammen mit den Notunterkünften in der Sanderdorfer Grundschule und in der Mehrzweckhalle Brehna beherbergen wir als Stadt insgesamt rund 300 evakuierte Menschen“, berichtet Ronny Thomas von der Freiwilligen Feuerwehr Sandersdorf-Brehna. Der hauptamtliche Gerätewart der Stadt hat als Einsatzleiter seit fast einer Woche den Hut für die gesamte Koordination hier auf. Mit rund 30 Wehrleuten und mindestens noch einmal so vielen freiwilligen Helfern sorgt er dafür, dass alles funktioniert. Und erstaunlicher Weise tut es das auch.

Einfach war es am Anfang natürlich nicht, bestätigt auch Ralf Salomon. Er ist von der Stadt hier als Verantwortlicher eingesetzt worden und „im normalen Leben“ im Bereich Wirtschaftsförderung tätig. Immerhin sind viele der älteren Menschen pflegebedürftig und deshalb auf Hilfsmittel und medizinische Geräte angewiesen. „Das war schon eine besondere Situation und auch eine Herausforderung“, erklärt er. „Die Systeme greifen aber, dann gelangt man auch zu einer guten Routine. Und vor allem ist die Stimmung bei den Leuten gut.“

Das bestätigt auch Helmtrud Samoray. Sie ist eine der vielen Freiwilligen, die von Anfang an mit angepackt haben. Erst hat sie Sandsäcke gefüllt, dann hat ihr Rücken das nicht mehr mitgemacht. Seitdem betreut sie hier am Sportzentrum die Leute mit. „Viele sagen, es ist ein sehr schönes Heim hier und sie wollen eigentlich gar nicht mehr weg“, erzählt die Frau. Sie weiß auch, warum das so ist: „Sie werden rundum versorgt, können mit anderen draußen sitzen, wir gehen mit ihnen spazieren.“ Und: Sie treffen hier auch Gleichgesinnte aus anderen Einrichtungen. „Einer hat sogar jemanden gefunden, den er viele Jahre nicht mehr gesehen hat. Da können Sie sich vorstellen, wie groß die Freude war.“

Helmtrud Samoray wie auch Ronny Thomas und Ralf Salomon heben immer wieder die große Hilfsbereitschaft von allen Seiten hervor. „Da waren noch gar keine Evakuierten da“, nennt Thomas ein Beispiel, „da standen schon ausgebildete Krankenschwestern, Therapeuten und Pflegekräfte vor der Tür, um zu helfen.“ Bewohner haben Spielzeug für die Kinder in den anderen Notunterkünften gebracht, ebenso Lebensmittel und Wäsche. Solche Dinge sind auch von mehreren Geschäften und Handelsketten geliefert worden. Frauen haben unzählige Brote geschmiert. Warmes Mittagessen bereiten die Teams von Matthias Große aus der Sportgaststätte und Lars Schubert von der Kegelbahn zu (siehe auch Artikel „Logistik“). Von hier aus wird dann alles koordiniert, auch die Weitergabe des Essens in die Grundschule und nach Brehna. Auch auf alle Einsatzkräfte wie Technisches Hilfswerk, Rettungsdienst und freiwillige Firmen konnte man sich hundertprozentig verlassen. Und alle Gesprächspartner sind sich einig: Für all diese Hilfe kann man nicht oft genug ein großes Dankeschön aussprechen.

Das ist auch Anliegen von Hans-Jürgen Wolf, Betriebsleiter der Vetter und der Regionalverkehr GmbH. Er lobt vor allem das Engagement der Jugendlichen, die an allen Einsatzorten zu finden waren und sind. Vor Ort in Sandersdorf ist Wolf am am Sonntagmorgen, weil die Busse für die Fahrt nach Brehna vom Unternehmen Vetter kommen. „Bürgermeister Andy Grabner kam auf uns zu mit der Bitte, ob wir nicht die Möglichkeit sehen, die Senioren von hier nach Brehna und wieder zurück zu bringen“, erklärt er. Das sei keine Frage gewesen, auch wenn die eigenen Beschäftigten aufgrund der Evakuierungen in der gesamten letzten Woche schon Außergewöhnliches leisten mussten (siehe auch Artikel „Logistik“). Und so fahren zwei Niederflur-Gelenkzüge und ein behindertengerechter Kleinbus rund 80 Leute - darunter 15 mit Rollstuhl - zum Fest in den benachbarten Ortsteil (die MZ berichtet noch davon).

Bewusst wurde diese Veranstaltung - im Gegensatz zu vielen anderen aufgrund der ganzen Situation - von der Stadt Sandersdorf-Brehna nicht abgesagt. Man wollte den Evakuierten damit eine Möglichkeit der Abwechslung bieten und ihnen helfen, vielleicht mal für einige Stunden abschalten zu können. Und da kam Bürgermeister Grabner auch auf die „spontane Idee“, wie er vor Ort sagt, den Senioren dieses Angebot zu unterbreiten. Dass Vetter dies so unkompliziert realisierte, freut ihn doppelt: Die Vetter Touristik hat das Ganze nämlich gesponsert.

Nun ist die Evakuierung aufgehoben, die Notunterkünfte werden geräumt. Auf dem Sportgelände in Sandersdorf wird das allerdings nicht von heute auf morgen passieren, wie Einsatzleiter Ronny Thomas betont. Mit gutem Grund: Stress und Hektik gab es beim Verlassen der Heime genug. Da soll wenigstens das Zurückkommen geordnet und ruhig erfolgen.