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Flüchtlinge in Anhalt-Bitterfeld Flüchtlinge in Anhalt-Bitterfeld: "Wir werden allein gelassen"

15.10.2014, 07:25
Bernhard Böddeker
Bernhard Böddeker Heiko Rebsch Lizenz

Bitterfeld - Mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge erhöhen sich auch die Kosten für den Landkreis. Daher fordert Bernhard Böddeker - Dezernent für Sicherheit, Ordnung und Kommunales - mehr Unterstützung von Bund und Land. Gleichzeitig räumt er ein, dass es bei der Unterbringung der Menschen noch Defizite gibt, denn ein Großteil der Asylsuchenden lebt im Altkreis Bitterfeld. MZ-Redakteur Detmar Oppenkowski sprach mit dem Landkreisdezernenten über die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen.

Zurzeit ist ein Betreuer für 70 Flüchtlinge, die in Wohnungen untergebracht sind, verantwortlich. Laut Bernhard Böddeker bestehe vor allem Bedarf an französisch sprechenden Betreuern, aber die seien schwer zu finden. Da es nichts bringe, wenn man die Menschen nur unterbringe, hält der Landkreis Anhalt-Bitterfeld nach eigenen Angaben mehrere Angebote vor.

So gebe es neben Deutschkursen auch eine Kooperation mit der Komba.

Die Nachrichten in den Medien werden derzeit von Konflikten bestimmt. Wirken sich die Krisen in der Welt auch auf die Anzahl der Flüchtlinge vor Ort aus?

Böddeker: Man kann sagen, dass die Zuweisungsquoten weiter steigen. Derzeit leben 679 Flüchtlinge im Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Wir rechnen bis Jahresende mit weiteren 240. Ich nehme an, dass es im nächsten Jahr nicht weniger werden.

Das sind mehr als 900 Menschen, die untergebracht werden müssen. Nachdem es Kritik an den Gemeinschaftsunterkünften gab, setzt der Landkreis verstärkt auf die dezentrale Unterbringung in Wohnungen. Wie ist der aktuelle Stand?

Böddeker: Mehr als 300 Flüchtlinge sind bereits jetzt in Wohnungen untergebracht. Das ist eine deutliche Zunahme im Vergleich zu 2012. Da waren es 100. Weil neue Plätze grundsätzlich nur noch dezentral geschaffen werden, brauchen wir mehr Wohnungen. Das ist nicht einfach, denn die Menschen kommen schneller als wir uns darauf einstellen können.

Wo werden sie vorrangig untergebracht?

Böddeker: Derzeit trägt die Stadt Bitterfeld-Wolfen - wenn man es so bezeichnen möchte - die größte Integrationslast. 88 Prozent der Flüchtlinge, die in einer Wohnung leben, halten sich hier auf. Auf Aken und Zörbig entfallen jeweils fünf Prozent. In Köthen leben zwei Prozent.

In Friedersdorf und Marke wohnen fast 370 Menschen in Gemeinschaftsunterkünften. In Bitterfeld-Wolfen sind fast 250 in Wohnungen untergebracht. Wie erklärt man, dass im Altkreis Bitterfeld die meisten Flüchtlinge leben?

Böddeker: Wir haben eine Quote, die mit allen Kommunen abgestimmt ist. Demnach richtet sich die Landkreisverteilung der Flüchtlinge nach der Größe der Städte und Gemeinden. Aber ich muss eingestehen, dass es derzeit ein Verteilungsdefizit gibt. Das hängt auch mit den Wohnungsunternehmen und den Wohnungsmärkten zusammen. So haben wir mit der Neuen Bitterfelder Wohnungs- und Baugesellschaft ein sehr kooperatives Unternehmen. Zwar gibt es auch in Köthen kommunale Gesellschaften, aber der Wohnraum ist knapp und der Leerstand gering. Im Osternienburger Land oder Südliches Anhalt gibt es keine kommunalen Gesellschaften und es fehlt preiswerter beziehungsweise beziehbarer Wohnraum. Trotz dieser Herausforderungen wollen wir die Flüchtlinge bis Ende 2015 gleichmäßig auf den gesamten Landkreis verteilen. Wir haben beispielsweise Zerbst im Fokus, müssen aber noch die Rahmenbedingungen schaffen.

Das stellt man sich schwer vor. Auf der einen Seite gibt es Wohnungsunternehmen wie in Wolfen, die die Unterbringung von Flüchtlingen ablehnen. Auf der anderen Seite gibt es private Angebote, die der Landkreis nicht annimmt.

Böddeker: Die Verweigerungshaltung in Wolfen ist für mich inakzeptabel. Aber wenn ein Wohnungsunternehmen nicht mitmacht, gibt es wenig rechtliche Möglichkeiten. Über die privaten Vermieter muss man sagen, dass sie immer mehr werden. Aber nicht jedes Angebot ist geeignet. So gab es in Gröbzig eine Wohnung für eine Familie, aber da die schulpflichtigen Kinder in Bitterfeld-Wolfen eine Integrationsklasse besuchen, war der Ort im Südlichen Anhalt nicht geeignet.

Mehr Flüchtlinge bedeuten auch höhere Kosten. Zeichnet sich ab, ob Bund und Land dem Landkreis unter die Arme greifen?

Böddeker: Wir werden politisch unter Druck gesetzt, bekommen aber keine ausreichend finanzielle Unterstützung. Allein im vergangenen Jahr hatten wir bei der Unterbringung von Flüchtlingen ein Defizit von zwei Millionen Euro, das über die Kreisumlage ausgeglichen wird. Zwar ist die Zahl der Flüchtlinge im Vergleich zur Zahl der Einwohner im Landkreis verschwindend gering, aber wir werden mit den Problemen der Finanzierung, Betreuung und Unterbringung allein gelassen. Hier könnten sowohl der Bund als auch das Land mehr machen.