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Flüchtlinge im Landkreis Anhalt-Bitterfeld Flüchtlinge im Landkreis Anhalt-Bitterfeld: "Grenze fast erreicht"

Von Lisa Garn 19.09.2015, 11:41
Der Landrat des Landkreises Anhalt-​Bitterfeld, Uwe Schulze (CDU).
Der Landrat des Landkreises Anhalt-​Bitterfeld, Uwe Schulze (CDU). Kehrer/Archiv Lizenz

Bitterfeld/Magdeburg - Es ist eine Aufgabe, die den Landkreis Anhalt-Bitterfeld an seine Grenzen bringt: Mit über 2.000 Asylsuchenden wird für dieses Jahr gerechnet. Zur Flüchtlingsfrage hat sich am Donnerstag der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und Landräten sowie Oberbürgermeistern in Magdeburg getroffen - darunter war Anhalt-Bitterfelds Landrat Uwe Schulze (CDU).

Der Bundesinnenminister soll die Kommunen besänftigt haben. Sie auch?

Uwe Schulze: Ich bin zumindest nicht mit einem schlechten Gefühl aus dem Treffen gegangen. Man könnte auch sagen, etwas zuversichtlicher. Es war gut, dass wir unsere Sorgen und Probleme schildern konnten.

Welche Probleme sehen Sie in Anhalt-Bitterfeld?

Schulze: Es beginnt bei der Unterbringung. Momentan können wir das schultern. Die Frage ist aber, was passiert, wenn die Zuweisungen in dieser Höhe bleiben oder noch zunehmen. Wir nehmen 8,3 Prozent der in Sachsen-Anhalt ankommenden Flüchtlinge auf, was schon im oberen Drittel liegt.

Auch bei der Einwohnerversammlung in Köthen wurden große Verunsicherung, aber auch Vorbehalte von Bürgern deutlich. Wie schätzen Sie die Akzeptanz der Einwohner den Flüchtlingen gegenüber ein?

Schulze: Die Akzeptanz ist überwiegend da. Aber ich befürchte, dass die Stimmung kippt, wenn dieser Anstieg so weitergeht. Die Menschen haben Befürchtungen. Sie lesen auf der einen Seite, dass die Kommunen unter Geldknappheit leiden und vieles streichen müssen und auf der anderen Seite plötzlich viel Geld für Flüchtlinge bereitgestellt wird, was vorher nicht da war. Damit stehen auch wir, die wir als Landkreis für die Unterbringung und Betreuung zuständig sind, im Fokus.

Inwiefern stehen Sie im Fokus?

Schulze: Das Thema Asyl ist seit Wochen Diskussionspunkt Nummer Eins. Die Fragen und Meinungen vieler Menschen werden natürlich auch direkt und ungeschminkt an mich herangetragen. Und wir müssen transportieren können, wie die Bevölkerung denkt, sonst haben wir ein Problem. Es gibt eine veröffentlichte Rosarot-Willkommensmentalität und die tatsächliche Meinung der Bürger vor Ort. Und wer nicht in dieses überzogene Positiv-Bild einstimmt, den nennt man den ,hässlichen Deutschen’. Wir haben mit dem Innenminister auch darüber gesprochen. Und ebenso über Fragen der inneren Sicherheit.

Wie sehen Sie die Lage insgesamt?

Schulze: Deutschland muss wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen, die Zuwanderung muss begrenzt und besser organisiert werden. Es hilft nichts, alle Menschen aus den Krisenregionen zu holen. Im vergangenen Jahr kamen 500.000, dieses vielleicht bis zu 1,2 Millionen, nächstes womöglich noch einmal so viele. Das wird nicht funktionieren. Im Landkreis waren es 2014 insgesamt 550 Asylbewerber, für dieses Jahr hatten wir die Zahl auf 1.000 geschätzt und jetzt sind es über 2.000. Im nächsten könnten es noch mehr werden.

Der prozentuale Anteil von Asylsuchenden an der Gesamteinwohnerzahl im Kreis liegt bei unter einem Prozent ...

Schulze: Das mag sein, aber es ist ein Riesen-Sprung, den wir nicht einfach so bewältigen. Wir haben die Grenze der Kapazität und Ressourcen schon fast erreicht. Und wenn der Anstieg in dieser Höhe - wöchentlich kommen Busse mit 50 bis 100 Personen im Landkreis an - bleibt, können wir das nicht mehr dauerhaft schultern.

Wann ist dieser Zeitpunkt erreicht?

Schulze: Das ist schlecht einzuschätzen. Es gibt keine Prognosen darüber, wie viele Flüchtlinge noch kommen. Aber die Anzahl der Wohnungen ist begrenzt und wir müssten uns dann andere Dinge zur Unterbringung einfallen lassen - auch wenn ich das nicht will. Wir wollen ihnen eine menschenwürdige Unterbringung geben.

Was fordern Sie von der Bundesregierung?

Schulze: Wir brauchen ein verschärftes Asylgesetz und auch ein klares Einwanderungsgesetz, mit dem man deutlich definiert, wer und wie zu uns kommen kann. Die gesamten Balkan-Länder müssen als sichere Drittstaaten deklariert werden. Nicht bleiberechtigte Asylbewerber müssen beschleunigt abgeschoben oder bereits an der Grenze abgewiesen werden. Es ging im Gespräch aber auch um anderes wie Gesetzesänderungen für vereinfachte Vergabeverfahren für Flüchtlings-Unterkünfte.

Einige Forderungen dürften nicht alle Parteien teilen ...

Schulze: Ich sehe teilweise hohe parlamentarische Hürden für neue Gesetzgebungen. Es müssten auch ein paar Parteien über ihren Schatten springen. Sicher hat Herr de Maizière seine Vorstellungen, aber da spielen nicht nur der Bundestag und der Bundesrat eine Rolle, sondern auch die politischen Gremien der EU. Aber ich bin dennoch zuversichtlich, dass einiges umgesetzt wird und dies die Zuwanderung entspannt.

Ist die Krise auch eine Chance?

Schulze: Sie ist Chance und Problem. Chance für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, wo sie um Leib und Leben fürchten und die in Deutschland eine sichere Heimstatt finden. Chance auch für diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Problem, weil zu viele kommen, denen am Ende doch kein Asyl gewährt werden kann. Das überfordert das Land und die Kommunen. Dennoch: Es ist unsere gesamtgesellschaftliche Pflicht, Flüchtlingen zu helfen. Wie viele Menschen haben denn vor Jahrzehnten Deutschland verlassen, weil sie gehungert haben, verfolgt wurden oder einfach ein besseres Leben wollten? Und wir können vieles schultern, aber eben nicht alles und sind deshalb auf enorme Unterstützung der Städte und Gemeinden sowie der Vereine und Bürger vor Ort angewiesen. Wir bitten die Flüchtlinge, denen wir Gastrecht gewähren, um Anerkennung und Respekt für unsere Kultur und Lebensweise. Das gleiche wollen wir auch denen zollen, die jetzt ankommen. (mz)