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Lesung in Wolfen Annemarie Kock erzählt Geschichten und Erlebnisse aus dem Leben einer Blinden

Annemarie Kock ist eine blinde Autorin. Ihr humorvolles Buch-Debüt erzählt von alltäglichen Begegnungen, Fettnäpfchen und Vorurteilen.

Von Andrea Dittmar 30.07.2022, 14:00
Im Wolfener Mehrgenerationenhaus liest Annemarie Kock mithilfe einer Braillezeile aus ihrem Erstlingswerk.
Im Wolfener Mehrgenerationenhaus liest Annemarie Kock mithilfe einer Braillezeile aus ihrem Erstlingswerk. (Foto: André Kehrer)

Wolfen/MZ - Annemarie Kock schreibt wie andere Autorinnen auch: Sie setzt sich vor den Laptop und beginnt, Wort für Wort zu tippen. Doch bei der Stendalerin ist etwas anders. Die Tastatur ist in Brailleschrift, denn Kock ist von Geburt an blind. Und beim Vorlesen der Geschichten wie am Montag im Mehrgenerationenhaus in Wolfen nutzt sie eine Braillezeile. Doch das war es auch schon mit den Unterschieden.

Aus drei wurden 100 Texte

Begonnen hat ihre Autorschaft eher zufällig: Ihrer Mobilitätstrainerin erzählte sie von einigen besonderen Erlebnissen und die ermutigte Annemarie Kock, das als Hilfen für Eltern blinder Kinder aufzuschreiben. Drei Geschichten würden es ja vielleicht werden, mutmaßte die heute 35-Jährige. Aber eines führte zum anderen und 100 Texte sind im Buch „Jetzt kommt Licht ins Dunkel“ vereint.

Von ihrer Kindheit über die Jugend bis zu Dingen, die ihr heutzutage passieren, nimmt Annemarie Kock die Zuhörerinnen mit in eine Welt, die nicht durchs Sehen, sondern Fühlen, Schmecken und Hören bestimmt ist.

Das Buch entstand während Corona.
Das Buch entstand während Corona.
(Foto: Andrea Dittmar)

Ob sie traurig sei, dass sie nicht sehen kann, werde sie manchmal gefragt

Das fällt etwa auf, wenn sie schildert, wie sie sich als Kind ihren Einkauf als Erwachsene vorstellt. Statt bunter Farben malt sie Bilder aus Klängen: das Rascheln der Tüten, die Schuhe anderer Menschen auf dem Pflaster. Doch auch schlechte Tage gibt es. „Das fühlt sich dann an wie Topfschlagen spielen. Nur wartet am Ende keine Schokolade, sondern es sind andere Hürden“, beschreibt Kock. Doch ihren Humor hat sie nicht verloren: Ein vorlautes Kind sei sie gewesen und diese Eigenschaft habe sie als Erwachsene nicht abgelegt. Außerdem würde sie nicht lange an unangenehmen Situationen zu knabbern.

Ob sie traurig sei, dass sie nicht sehen kann, werde sie manchmal gefragt. „Ich habe das Leben nie anders kennengelernt. Was ich nicht kenne, kann ich nicht vermissen“, lautet Kocks Urteil darüber. Denn ihr fehle die Vorstellung, wie sich das Sehen anfühlt -und sie habe auch noch keine gute Beschreibung dafür bekommen.

Brief an Menschen die Schwierigkeiten im Umgang mit Blinden haben

Dafür löse ihre Sehbehinderung immer wieder Verunsicherung bei anderen aus: Das adressiert sie in einem Text an die Menschen, die sie immer mit „du“ anreden oder lieber so tun, als wäre sie gar nicht da und über ihren Kopf hinweg reden. Oder, noch dreister, über sie sprechen, während Kock ganz klar mithören kann. Diesen Menschen widmet sie sogar einen Brief in ihrem Buch - um ein bisschen abzurechnen, aber auf humorvolle Art.

„Ich ziehe vor ihr wirklich den Hut, welchen Mut zum Leben sie beweist“, resümiert Zuhörerin Irmgard Pfeiffer aus Wolfen, die zum ersten Mal beim Autorencafé ist.

„Jetzt kommt Licht ins Dunkel - 100 authentische Geschichten aus dem Leben einer blinden Frau“ kostet 14,80 Euro und ist im Verlag Hartmut Becker erschienen. ISBN: 978-3-929480-74-0