Erinnerung: «Er hielt immer die Tür auf»
Bernburg/MZ. - Nur einmal im Jahr, jeweils zum Volkstrauertag, steht das Tor des jüdischen Friedhofs in Bernburg offen, den es seit 1824 gibt. Eugen Madelong, der Bernburger Herrenausstatter, starb zwar mit 80 Jahren. Er überlebte aber als einziger seiner Familie das Konzentrationslager Theresienstadt.
"Ein freundlicher Mensch, für den meine Eltern von Plömnitz extra vier Kilometer bis Baalberge liefen und dann mit dem Zug nach Bernburg fuhren", erinnert sich sein 87-Jähriger, der nur wegen des Grabes von Eugen Madelong mit seinem Rollstuhl zum Friedhof gekommen ist. An eine "feine Atmosphäre" in dem Herrengeschäft erinnert sich auch eine alte Dame, die mit ihrer Tochter auf den Rößeberg gekommen war. "Er hat meiner Mutter immer die Tür aufgehalten. Sowas gibt es heute in normalen Läden gar nicht mehr."
Joachim Grossert vom Arbeitskreis "Juden in Bernburg" führte den ganzen Tag lang Besucher über das Gelände, auf dem sich rund 400 Grabmale befinden. Viele davon seien zu DDR-Zeiten umgestoßen
worden. Mit viel Verve in der Stimme erzählte Grossert von einer Frau, die sich an einem der Gräber umgebracht habe, von reichen und den Nazis verhassten Bänkern.
Er berichtete auch von Helmut Schmidts Großvater, der hier begraben sei, von Schändungen und mühevollem Aufrichten der Grabsteine mit Hilfe eines Steinmetzes. Von Eugen Madelong wusste Grossert, dass er die Listen für die Deportationen schreiben musste - und sich selbst auf eine der letzten für den Transport nach Theresienstadt setzen musste.
Auch wenn am Vormittag unter den rund 50 Besuchern kaum jüngere Menschen waren, gebe es bei den Bernburgern durchaus Interesse am jüdischen Friedhof, sagt Joachim Grossert. Vor allem mit Schülern des Carolinums sei er öfter hier.
Allerdings gab es auch Momente, in denen sich der auskunftsfreudige Mann über den einen oder anderen Besucher ärgerte. "Ich hätte vielleicht am Eingang noch einmal darauf hinweisen müssen, dass Männer auf einem jüdischen Friedhof eine Kopfbedeckung tragen müssen." Mehrere nagelneue weiße Basecaps hielt Grossert deswegen in den Händen. "Die habe ich etxra mitgebracht. So viel Ehrfurcht sollte man doch vor einem solchen Ort haben." Wer keine Mütze tragen wolle, den verweise er strikt des Friedhofs.
Der Bernburger Johannes Richter hatte sein Haupt vorschriftsmäßig bedeckt. Er äußerte sich am Ende seines Rundganges äußerst zufrieden über den Besuch. "Ich war noch nie hier. Aber ich fühle mich wohl, wenn ich von anderen Kulturen und Menschen erfahre. Und endlich weiß ich auch, wie es hier, hinter der dicken Mauer, ausschaut."