Kultur Auf berührende Weise
Preise der Kinder- und Jugendjury für die besten Stücke beim Bernburger Kinder- und Jugendtheaterfestival im Osten Deutschlands vergeben.
Bernburg/MZ - In Bernburg ist das 5. Wildwechsel-Festival unter dem Motto „Der Garten der Demokratie“ zu Ende gegangen. Das Festival hatte unter anderem vier Inszenierungen ostdeutscher Theaterhäuser und freier Gruppen für Kinder und vier für Jugendliche präsentiert, die von einer Fachjury aus über 60 Bewerbungen ausgewählt worden waren.
Je eine Jury aus Bernburger Kindern bzw. Jugendlichen hatte die Stücke während des Festivals gesichtet, unter theaterpädagogischer Begleitung bewertet, in Austauschformaten mit Theatermachern diskutiert und schließlich je einen Preis für das beste Kinder- und das beste Jugendstück vergeben, heißt es in einer Pressemitteilung.
Fünf Kinder zwischen 9 und 12 Jahren bildeten die Kinderjury. Ihren Preis vergaben sie an die Inszenierung „Wutschweiger“ des Theaters Junge Welt aus Leipzig, die sie u. a. mit ihrem außergewöhnlichen Bühnenbild - das Stück wird Open Air auf einer realen Halfpipe aufgeführt - überzeugte.
„Wutschweiger“ erzählt die Geschichte zweier Kinder, die plötzlich in kleinere Wohnungen umziehen müssen, nicht mehr genug zu essen haben und nicht mit auf Klassenfahrt kommen dürfen, weil ihren Familien das Geld ausging - und thematisiert damit auf berührende Weise das oft tabuisierte Thema „Kinderarmut“. Besonders die Entscheidung der Protagonisten, aus Protest zu schweigen, ging den Kindern nahe: „Wir gehen ja auch fast jeden Freitag zum Demonstrieren und genauso haben die das mit ihrer Stimme gemacht. Sie haben einfach gar nicht mehr geredet“, so ein Jurymitglied bei der Preisvergabe.
Die Jugendjury bestand aus drei Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren. Sie überzeugte am meisten das Stück „You don’t own me“ des Berliner Kollektivs „Chicks“. Die Gruppe bezeichnet sich selbst als queerfeministisches Netzwerk und ihre Performance als „feministisches Standardtanzevent“.
In sehr intimen Erzähl- und Tanzszenen hinterfragen sie die dem Standardtanz eingeschriebenen Kodierungen - und stellen ihnen Alternativen gegenüber. Bereits im Nachgang der Vorstellung am Eröffnungsabend waren sich die Mitglieder der Jugendjury einig: „Die haben die Messlatte schon ganz schön hoch gehängt.“
Zur Preisvergabe hoben sie hervor, dass die Inszenierung den Mut habe, die persönlichen Erfahrungen der Darsteller einzubeziehen, die Zuschauer mit einer assoziativen Erzählweise herauszufordern und ein Plädoyer für freie Meinungsäußerung und Toleranz über alle Geschlechtergrenzen hinweg zu sein.
„Wildwechsel“ hatte die Stadt Bernburg eine Woche lang sichtbar transformiert, heißt es in der Mitteilung: Zur Eröffnung bespielten über 100 Bernburger Kinder und Jugendliche unterschiedliche Plätze und leerstehende Ladengeschäfte im öffentlichen Raum; am Dienstag voriger Woche zeigten elf ostdeutsche Kinder- und Jugendtheater hier interaktive Theaterminiaturen. Sie alle luden die Bürger zu spontanen Begegnungen und zum Diskurs über Demokratie ein und zeigten ein breites Spektrum theatraler Ausdrucksformen.
Interaktionen provozierte auch die von Fred Pommerehn erschaffene Installation „Der Garten der Demokratie“ am Saale-Ufer. Aufgeschichtet aus rund 300 alten Stühlen lud sie während des Festivals jeden ein, kleine „Beete“ anzulegen und persönliche Gegenstände darauf „anzupflanzen“.
Die Festivalmacher zeigten sich begeistert von Diskussionsfreudigkeit, Offenheit und Gestaltungswillen der Bernburger, die bewiesen, dass ein solches Festival auch in einer Kleinstadt im ländlichen Raum sehr gut funktionieren kann.
Mehr als 50 Theaterschaffende aus ganz Deutschland weilten während des Festivals in Bernburg und tauschten sich in Fachforen und Diskussionen über den Status quo des Kinder- und Jugendtheaters aus. „Wildwechsel“ sucht nun bereits nach einem ostdeutschen Austragungsort für die 6. Ausgabe im Jahr 2023.
