MZ-Serie Die Braut im Wasser

Ein ehemaliger Kriminalist erinnert sich an alte Fälle. Heute geht es um eine sogenannte Seemannsbraut.

Von Rolf Strehler 05.12.2021, 16:00
Rolf Strehler erinnert sich an Geschichten aus seinem Polizeialltag.
Rolf Strehler erinnert sich an Geschichten aus seinem Polizeialltag. Symbolfoto: imago images/Future Image

Aschersleben/MZ - Nach einem herrlichen Wochenende im Hochsommer kam ich am Montag in meiner Dienststelle an. Ich hatte selbst das traumhafte Wetter ausgiebig zum Baden in meinem Lieblingssee genutzt, weshalb mein Elan zum Wochenbeginn folgerichtig noch wesentlich steigerungsfähig war. Ich holte mir aus der Teeküche eine Tasse von dem lauwarmen, abgestandenen Kaffee, der von einem Kollege immer liebevoll als „Schlamm“ bezeichnet wurde. Ich war mir dabei noch nicht einmal sicher, ob dieses lauwarme Getränk nicht noch ein Überbleibsel vom letzten Wochenende war.

Widerwillig nahm ich einen Schluck, und während ich die Berichte der Einsätze vom Wochenende überflog, erregte ein Protokoll meine Aufmerksamkeit. Warum hatte man das Wort Frauenleiche in Anführungsstrichen geschrieben und warum war das Protokoll bei dem zu erwartenden Sachverhalt so kurz?

Grausige Entdeckung

Was war passiert? Am Wochenende hatten einige Kinder in einem kleinen, flachen Teich gebadet. Ausgelassen tollten sie im Wasser und spielten ein Spiel, das ich noch aus meiner eigenen Kindheit kenne: „Haschen“. Wer kennt wohl nicht diese Freizeitbeschäftigung, mit der vermutlich Kinder in aller Welt ihre Schnelligkeit und Geschicklichkeit im freundschaftlichen Wettstreit messen. Eines der Kinder hatte sich vor den anderen an einer etwas schwerer einsehbaren Stelle versteckt. Als es ins Wasser blickte, bemerkte es ein Gesicht unter der Oberfläche, dessen große, weit geöffnete Augen nach oben starrten. Verängstigt und aufgeregt rief es die anderen Mitspieler zu der Stelle. Die Kinder beratschlagten, ob sie alle verschwinden oder besser, Erwachsene holen sollten, was sie auch taten.

Rolf Strehler
Rolf Strehler
Foto: Strehler

Einige Jungen waren darauf in das nahe Dorf gerannt. Dem ersten Erwachsenen, der ihnen über den Weg lief, erzählten sie von dem grausigen Fund im Wasser. Nachdem die Polizei informiert war, musste sie von der Einleitung einer Todesursachenermittlung ausgehen. Zur eindeutigen Klärung des Sachverhaltes wurde ein Streifenwagen an den kleinen Teich beordert. Wild durcheinander berichteten die kleinen Zeugen von ihrer Entdeckung und führten die beiden Beamten zu der Stelle, an der sie vor wenigen Minuten das menschliche Gesicht unter Wasser gesehen hatten.

Leichenschau mit überraschendem Befund

Nachdem die Kinder beiseite geschickt worden waren, wurde die Stelle in Augenschein genommen und die mutmaßliche Leiche geortet. Mit einigen Hilfsmitteln wurde sie dann an die Oberfläche befördert. Eine erste „Leichenschau“ ergab folgenden erheiternden, nicht alltäglichen Befund. Es handelte sich um eine sogenannte „Seemannsbraut“, ein aufblasbares Sexspielzeug. Irgendwie war wohl etwas Luft in der obersten Körperregion verblieben, und somit hatte der Kopf weitestgehend seine ursprünglichen Konturen behalten. Hatte der Bräutigam die Braut selbst verletzt und dann in das Wasser geschmissen? Hatte sich die Braut versehentlich die Plastikhüfte aufgeschlitzt und war deshalb im Wasser versunken?

Nachdem schlagartig und zweifelsfrei klar geworden war, dass der Polizeieinsatz sich erledigt hatte und der Text im Einsatzjournal mit „k.w.p.M.“ (keine weiteren polizeilichen Maßnahmen) abzuschließen war, entschlossen sich die beiden Einsatzbeamten, die „tote Seemannsbraut“ in einer nahe gelegenen Mülltonne zu „bestatten“ - oder besser: zu entsorgen. Die Beamten beruhigten die Kinder und erklärten ihnen, dass sich die Sache als völlig harmlos erwiesen hatte.

Mit einem Schmunzeln im Gesicht und - zugegeben - ein wenig Kopfkino, stellte ich mir die Frage, wie man den anwesenden Kindern wohl erklärt haben könnte, was es mit ihrem Fund im Wasser auf sich gehabt hatte …?