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Aschersleben Aschersleben: Mit Muskelkraft für die eigene Wohnung

Von Uwe kraus 07.01.2016, 17:20
Familie Triebel findet im Fotoalbum Bilder vom Wohnungseinzug 1962.
Familie Triebel findet im Fotoalbum Bilder vom Wohnungseinzug 1962. Frank Gehrmann Lizenz

Aschersleben - „In so einem Blechschuppen in der Oberstraße am Friedhof war Werkzeugausgabe. Jeder hat dann gesagt bekommen, wo er ran muss.“ Winfred Triebel erinnert sich an die Zeit vor reichlich 55 Jahren. „Ich habe da so ein bisschen den Organisator und Schriftführer gemacht“, erinnert sich der heute 78-Jährige. 1959 trat er der Arbeiterwohnungsgenossenschaft (AWG) bei, der heutigen Wohnungsgenossenschaft „Einigkeit“, die in diesen Tagen ihr 60-jähriges Bestehen gefeiert hat.

1955 begann Triebel bei der Wema, „da wurde gerade Werk III ausgebaut.“ Lange baute er dort an Fräswerken mit, wurde später Meister. Er erinnert sich noch genau, als damals Helmut Lange und Helmut Konrad in die Wema kamen und besonders junge Leute ansprachen, ob sie nicht Genossenschaftler werden wollten. Schließlich erhöhten sich damit die Chancen, recht schnell an eine attraktive Wohnung zu kommen.

Doch so überschwänglich wie erwartet, war das Interesse nicht. „Es mussten ja Genossenschaftsanteile bezahlt werden. Dazu kamen die Eigenleistungen, auch NAW-Stunden genannt. Das hieß Nationales Aufbauwerk.“

Winfred Triebel schlägt einen alten Hefter auf. Sorgsam abgeheftet die Unterlagen von damals, aber auch der Schriftverkehr, als das Wort „Arbeiter“ nach der Wende aus dem Genossenschaftsnamen getilgt wurde. „Die AWG hat in der Oberstraße eine Wohnung komplett ausstaffiert, mit Möbeln, Gardinen, Teppich, um den Leuten zu zeigen, was sie später erwartet.“ Triebel liest vor, was die Wohnung vor 55 Jahren besaß. „Die Leute rundherum gingen ja noch aufs Plums-Klo.“ Seine Wohnung war mit WC, Badewanne, Waschbecken, Spiegel und Warmwasserheizung bestückt, in der Küche gab es Trocken- und Nassstrecke, vierflammigen Gaskocher und Mehrzapfhähne. „All das entstand förmlich auf dem Acker, die Straßen ähnelten damals noch Feldwegen.“

„3600 MDN, das waren Mark der Deutschen Notenbank, kosteten die Anteile, wer hatte schon so viel Geld? Aber man bot uns Ratenzahlung an“, erzählt der Genossenschaftsveteran. „An den 600 Arbeitsstunden kam niemand vorbei.“ Triebel erinnert sich, wie Kanäle geschachtet wurden. „Die Handwerker waren ja nicht so dicke gesät. Kabelgräben, Abwasser- und Stromleitungen; Mensch, haben wir geschippt.“ Dazu kam das Vorbereiten von Fundamenten. Als Wema-Schichtarbeiter stellte der volkseigene Betrieb Winfred Triebel sogar das betriebliche Werkzeug dafür zur Verfügung.

„Damals gab es ja auch noch kein Heizwerk für unser Wohngebiet. Alte Ascherslebener werden sich noch dran erinnern, da stellte die Genossenschaft eine Eisenbahnlokomotive hin, die über Jahre für Wärme in unseren Häusern sorgte.“ Fred Triebel stört es, dass viele Leute heute so abfällig über die „Plattenbauten“ reden. „Die Teile wurden gleich nebenan gegossen und dann verschweißt. Das ging oft so flott, dass auch mal vergessen wurde, die richtigen Abflussrinnen zu legen“, schaut er zurück.

Mit seiner Frau Gerda erinnert er sich an jenen 4. Mai 1962. „Das war der Tag unseres Einzuges. 59,18 Quadratmeter, auf denen unsere drei Kinder groß wurden. Wir haben an jedem Stück, das wir uns in die Wohnung stellen konnten, gehangen.“ 52 Mark Nutzungsgebühr bezahlte die Familie monatlich für diesen damals hohen Standard. „Der Genossenschaftsgedanke hat gelebt. Die Gemeinschaft damals muss man einfach hervorheben. So entstand das, was heute Wohnumfeld heißt. Da braucht man sich nicht zu wundern, dass noch heute einige Familien, die 1962 mit ins Kosmonautenviertel zogen, hier leben.“

Winfred Triebel und seine Frau merken aber unterdessen, dass ihnen die Stufen bis in die 6. Etage in der Juri-Gagarin-Straße schwerer fallen. „55 sind es, da können sie gerne nachzählen“, erklärt der Genossenschaftler, der sich in den vergangenen 25 Jahren als Mietervertreter seines Wohnblocks engagiert hat. „Aber irgendwann muss mal Schluss sein. Wir durften miterleben, wie die Wohnungsgenossenschaft Schritt für Schritt den Bestand saniert hat. Moderne Heizkraftwerke, Solardächer und ein tolles äußeres Erscheinungsbild, das haben wir gut gemacht“, findet Triebel. Das Wohnen bei der Wohnungsgenossenschaft „Einigkeit“ empfindet er als „angenehm und preiswert“. Nur mit den Parkplätzen müsse noch etwas geschehen. (mz)