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Regelwut für Internet Regelwut für Internet: Warum Deutschland dem World Wide Web hinterher hinkt

Von Steffen Könau 04.10.2014, 15:26
"Neuland" nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel einst das Internet. Und noch immer hinkt die digitale Infrastruktur Deutschlands im internationalen Vergleich anderen Ländern wie den USA oder Norwegen hinterher.
"Neuland" nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel einst das Internet. Und noch immer hinkt die digitale Infrastruktur Deutschlands im internationalen Vergleich anderen Ländern wie den USA oder Norwegen hinterher. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Für den damaligen Kanzler Helmut Kohl war es eine „Datenautobahn“, für die - logischerweise - der Verkehrsminister zuständig schien. Seine Nachfolgerin Angela Merkel nennt es „Neuland“ - zuständig dafür ist bei ihr, nein, nicht der Landwirtschaftsminister, sondern - natürlich - der Verkehrsminister.

Der hat, im Verbund mit Wirtschafts- und Innenministerium, eine sogenannte Digitale Agenda ausgearbeitet, mit deren Hilfe Deutschland zu einem innovativen Staat mit Vorreiterrolle bei den digitalen Infrastrukturen werden soll, wie es in dem Papier heißt. Höchste Zeit ist es, denn im Moment kann Europas führende Wirtschaftsnation nach einer Studie der Vereinten Nationen bei der Internet-Nutzung nicht mit den Vorreitern in der Welt mithalten.

Kneiper befürchten Verantwortlichkeit

Deutschland ist bei der Internetnutzung zwar vorn mit dabei, aber an der Spitze liegt es nicht. In Skandinavien ist die Infrastruktur mobiler, in den USA und Kanada sind die Nutzerzahlen der sozialen Medien höher. Eine Stadt wie das polnische Gdansk deckt die gesamte City mit Drahtlos-Internet ab, wo deutsche Städte gerademal den Marktplatz bespielen. Kneipen und Motels in den USA bieten längst Wlan inklusive, in Deutschland dagegen fürchten Kneiper noch immer, für illegale Downloads ihrer Gäste zur Verantwortung gezogen zu werden.

Am Anfang waren es nur rund 1 600 Domainnamen mit der Endung .de, die das deutschsprachige Internet bildeten. Knapp zehn Jahre nachdem mit symbolics.com die erste Internetadresse überhaupt registriert worden war, sind in Deutschland unter anderem die Adressen telenet.de und uka.de registriert.

Weil das Wachstum der Nachfrage alle Erwartungen übertrifft, gründen die deutschen Provider schließlich die Denic als zentrale Vergabestelle mit anfangs zwei Mitarbeitern. In den knapp 20 Jahren seitdem hat sich die Zahl der registrierten de-Domains verzehntausendfacht. Sie liegt heute bei über 15 Millionen. Das Wachstum aber verlangsamt sich und verglichen mit dem Gesamtnetz wird der deutsche Teil dadurch immer kleiner, weil die Zahl der Nutzer in anderen Ländern viel schneller wächst: Hatte 1995 noch jede sechste Seite im Internet eine .de-Endung, ist es heute nicht einmal mehr jede 450. (stk)

Demnach ist Deutschland bei der Internetnutzung nicht einmal unter den ersten zehn Prozent. Zwar sind 84 Prozent aller Deutschen dem Bericht zufolge im Netz, doch verglichen mit den 96,5 Prozent von Island oder den Werten von Norwegen, Schweden und Dänemark ist das wenig. Auch beim Festnetz-Breitband reicht es mit 34,6 Prozent nur zu einem zehnten Platz, ganz knapp vor Andorra. Die Niederlande (Platz 4 mit 40,1 Prozent), Frankreich (5./38,8) und Großbritannien (8./35,7) sind besser, Schweden (10./32,6), Japan (23./28,8) und die USA (24./28,5) nur schlechter, weil die Mobilabdeckung dort höher ist.

Auf Platz 44

Beim mobilen Breitband sieht es noch schlechter aus. Hier kommt Deutschland mit 44,7 Prozent gerade einmal auf Platz 44, weit abgeschlagen hinter Spitzenländern wie Singapur, Finnland und Japan. In den USA sind 92,8 Prozent mobil online, selbst Russland (60,1 Prozent), Kasachstan (56,6 Prozent) und die Fidschi-Inseln (53,5 Prozent) liegen deutlich vor uns.

Kein Wunder, denn Internet gilt hierzulande immer noch als Spaßprojekt für Computerspieler und Sammler illegaler Musikdownloads, nicht als größte gesellschaftliche Umwälzung seit der Ablösung des Feudalismus durch die Industriegesellschaft. Während das Netz die Innenstädte verödet, weil es Millionen und Abermillionen früherer Kunden zu Amazon, Zalando und Co. zieht, erwähnt die von der Landesregierung in Magdeburg vor zwei Jahren verabschiedete Strategie „Sachsen-Anhalt digital 2020“ diesen Trend nicht einmal. Und während Weltkonzerne zu ihren neuen virtuellen Märkten neue, virtuelle Zahlungsmöglichkeiten wie Paypal oder Bitcoin erfinden, gelingt es der Bundespolitik auch im Jahr vier nach Einführung des elektronischen Personalausweises nicht, Anwendungsgebiete für die einst als Schlüssel zum „E-Government“ gedachte Plastikkarte zu finden.

Warum Sachsen-Anhalt dramatisch der Entwicklung des Internets hinterhinkt, lesen Sie auf Seite 2.

De-Mail-Gesetz

Still und stumm ruht das für Millionen eingerichtete Personalausweisportal, auch die einst als sichere E-Mail-Alternative gepriesene De-Mail  sucht  noch nach praktikablen Anwendungen für den Massenmarkt: Kommunen wie Halle prüfen vier Jahre nach Verabschiedung des De-Mail-Gesetzes noch die Umsetzbarkeit der Einführung.

Kein Einzelfall. Die Rahmenrichtlinien für das Wahlpflichtfach „Moderne Medienwelten“ in den Schulen Sachsen-Anhalts stammen aus dem Jahre 2003. Zur Erinnerung: Damals gab es weder Twitter noch Facebook, Youtube war noch nicht erfunden und Smartphones hießen „Communicator“ und hatten eine fest eingebaute Tastatur.

Die Wirklichkeit hinkt dem Virtuellen dramatisch hinterher, insbesondere in Sachsen-Anhalt, dem Armenhaus der deutschen Internetwelt. Fünf Jahre nach dem Beschluss der Landesregierung, den Netzausbau in Sachsen-Anhalt mit einer eigenen Breitband-Strategie zu forcieren, ist das Land im digitalen Wettrennen sogar noch hinter das ehemalige Schlusslicht Mecklenburg-Vorpommern zurückgefallen.

(N)-Onliner-Atlas

Nach den aktuellen Zahlen des (N)-Onliner-Atlas der Initiative 21 nutzen im Land derzeit 67,5 Prozent der Menschen das Internet. 2010 waren es noch 62,9 Prozent . Doch der deutsche Durchschnitt liegt längst bei über 70 Prozent aller Einwohner. Der Rückstand Sachsen-Anhalts zum Durchschnitt wuchs inzwischen von 7,4 auf neun Prozent. Internet-Hochburgen wie Hamburg oder Hessen liegen um mehr als zwölf Prozentpunkte vor Sachsen-Anhalt, das auf die neue Verbindungstechnologie LTE gesetzt hatte, um den Rückstand zu verringern.

Doch obwohl die aktuellste Mobilfunk-Generation nur in den drei Stadtstaaten und in Schleswig-Holstein noch besser verfügbar ist, so dass bisher unerschlossene Gebiete schnelles Netz bekommen können, sind die Wachstumsraten im Land mit 0,7 Prozent bescheiden. Die fortschreitende Digitalisierung, die nach Plänen von Landes- und Bundesregierung neue Tätigkeitsfelder schaffen wird, kann so zwischen Stendal und Zeitz kaum zum Zuge kommen. (mz)

Daten aus dem Online-Atlas: www.bit.ly/Initiative21

Weit vorn: Das polnische Gdansk bietet Besuchern Wlan an.
Weit vorn: Das polnische Gdansk bietet Besuchern Wlan an.
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