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TV-Tipp Stylische Liebeserklärung - „Postcards from London“

Jim könnte es weit bringen als Escort-Boy. Wäre da nicht seine Krankheit, die ihn regelmäßig beim Betrachten großer Kunst in Ohnmacht fallen lässt. Queeres Kino aus England im RBB.

Von dpa 03.08.2021, 15:52
Der bildhübsche Kleinstadtjunge Jim (Harris Dickinson) kommt nach London, um in der großen Stadt sein Glück zu finden.
Der bildhübsche Kleinstadtjunge Jim (Harris Dickinson) kommt nach London, um in der großen Stadt sein Glück zu finden. Salzgeber/rbb/dpa

Berlin - Jim kommt aus der Kleinstadt nach London, um in der großen Stadt sein Glück zu machen. Stattdessen wird er ausgeraubt und muss auf der Straße übernachten.

Dort findet er zu einer Gruppe von Callboys, die sich auf intellektuelle Gespräche vor dem Sex spezialisiert haben. Jim schließt sich an und steigt schnell vom naiven Anfänger zur gefragten Begleitung und Künstler-Muse auf. Der Spielfilm „Postcards from London“ ist eine Liebeserklärung an die britische Hauptstadt und läuft am Donnerstag um 23.30 Uhr im RBB. In der Hauptrolle glänzt der britische Nachwuchsstar Harris Dickinson.

Die Männer-Escort-Gruppe „The Raconteurs“ (aus dem Französischen: raconter = erzählen) nimmt sich Jim (Harris Dickinson) an und weiht ihn in die Kunst der Konversation vor und nach dem Sex ein. Es geht vor allem um barocke Malerei, um alte Meister und die Deutung ihrer Werke. Das ist es, was die Kunden mögen. Und sie mögen Jim. Wäre da nur nicht die Krankheit, unter der der angehende Escort-Star leidet: Das Stendhal-Syndrom, eine seltene, psychosomatische Störung, lässt Jim regelmäßig bei der Betrachtung großer Kunst in Ohnmacht fallen.

1994 hatte Steve McLean sich mit „Postcards from America“ dem Leben des früheren US-Performance-Künstlers David Wojnarowicz gewidmet. Das Fachmagazin „Variety“ hatte den Film als träges Experiment bezeichnet, das zwar aufgedonnert daherkomme, den Zuschauer aber nicht mitnehme.

Auch bei „Postcards from London“ fällt es schwer, den Film trotz seiner grandiosen Idee anders zu sehen. Anfangs noch locker und lustig erzählt, plätschert die Handlung spätestens ab der Hälfte immer gemächlicher vor sich hin - um letztlich in einer Art Zeitlupe auszufransen. Da reichen dann auch eineinhalb Stunden, um sich aus der engen, rotlichtüberfluteten Holzschnitt-Unterwelt raus ans Tageslicht zu wünschen.

Jedoch lohnt es sich, auf die gelungenen Elemente zu achten. Da ist der Rückblick auf das heimische, mit 70er-Jahre-Tapeten ausgekleidete Elternhaus, aus dem Jim so dringend ausbrechen will. Da sind seine Halluzinationen, in denen er selbst zum Objekt seines Lieblingsmalers Caravaggio wird. Da ist die verwahrloste Prostituierte von der Straße, die kurze Zeit später zu Jims Hausärztin wird. Alles Dinge, die einen zum Schmunzeln bringen. Und zum Weinen - um eine Idee, die eigentlich zu gut ist, um hier verschenkt zu werden.

Das RBB-Fernsehen zeigt „Postcards from London“ Zum Abschluss der diesjährigen Filmreihe „rbb QUEER“ als deutsche Erstausstrahlung.