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Tatort aus Dresden Tatort aus Dresden: Doppelmoral der Gutmenschen

Von Thilo Streubel 01.10.2016, 08:30
Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) ermitteln in Dresden.
Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) ermitteln in Dresden. mdr

Dresden - Gedämpftes Licht einer Straßenlaterne, eine Brücke über der Elbe, klobige Sandsteinbauten: Die ersten Sekunden des „Tatort“ zeigen Dresden im Schnelldurchlauf. Im künstlichen Licht der Brücke: Ermittler Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski), dieses ungleiche Duo, und ihr offen frauenfeindlicher Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach), schauen hinab auf Hans Martin Taubert, der mutmaßlich von einer Brücke gestoßen wurde. Drei Obdachlose haben angeblich gesehen, wie der Mann gestoßen wurde. „Die haben doch zusammen neun Promille“, winkt Gornika ab und auch Schnabel nimmt die Penner nicht ernst. Einzig Kommissarin Sieland versucht, neutral zu bleiben.

Taubert engagierte sich für Obdachlose, für misshandelte Frauen, Flüchtlinge. Als Sozialunternehmer verdient er sich eine goldene Nase. „Aber der war immer fair“, beteuert Hansi, einer der Obdachlosen. Dieses Trio, eine moderne Version der Marx Brothers, stolpert durch den „Tatort“ und man muss diese tolpatschigen Männer mögen. Sieland nimmt die Drei zum Abendessen mit zu sich. Nicht zur Freude ihres Freundes Ole, der wutentbrannt seine Sachen packt. „Du warst doch der erste, der mit einem Refugees-Welcome-Shirt auf die Straße gegangen ist“, erinnert Sieland ihren Freund.

Stromberg light

Hier offenbart sich ein Konflikt, der in der Flüchtlingsdebatte oft als Argument angebracht wird. Für die Flüchtlinge haben die „Gutmenschen“ Mitgefühl und die Bedürftigen in Deutschland fallen am Rand herunter. Die Doppelmoral der Gutmenschen?

Regisseur Dror Zahavi vermeidet zwar direkte Pegida-Bezüge, benutzt aber einen Kniff: Ein fiktives Theaterstück übt leise Kritik an der „Wir-sind-das-Volk-Mentalität“. Angelehnt an das Dresdner Staatsschauspiel, das Ende 2015 Pegida im „Graf Öderland“ von Max Frisch auf der Bühne auseinandernahm. Außergewöhnlich ist das Drehbuch von Ralf Husmann, der einst mit dem Zyniker „Stromberg“ den Prototyp des Büropatriarchen schuf. Chef Schnabel und die von ihm zum Fall gerufene Wiebke Lohkamp, vorzüglich gespielt von Jule Böwe, bringt diese Stromberg-Attitüde nach Dresden.

Seine Tasse mit der Aufschrift „Schnabel-Tasse“, der Kaffee mit Büchsenmilch, die subtilen Beleidigungen („Kampf-Amazonen“) frischen den „Tatort“ auf. Anders als bei den Münsteraner Kollegen sind es die Nebensätze, der kauzige Wortwitz, die Husmanns Stärke ausmachen. Als die Obdachlosen im Revier auftauchen, um ihren Freund rauszuholen sagt Eumel (Alexander Hörbe) einen Apfel essend: „Wir treten in Hungerstreik. Gleich, wenn ich aufgegessen hab.“

Der Fall speist sich letztlich aus einem Geflecht von Geld und Macht. Ein klassischer Kriminalfall. Husmann folgt leider der gängigen Praxis, den Kommissaren ein problematische Privatleben auf den Leib zu schneidern. Bei über 20 Ermittler-Teams bleibt nicht viel Raum für Innovation. So ist Gorniak, ähnlich wie Lindholm in Hannover, alleinerziehend, und Sieland plagt das alte Polizistenproblem: Die Beziehung bröckelt, weil sie kaum Zeit hat. Partner Ole will nicht immer nur warten. Der Zuschauer wartet da nur noch auf die unvermeidliche Trennung.

„Tatort: König der Gosse“ läuft am Sonntag, um 20.15 Uhr in der ARD.

(mz)