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Neues Theater in Halle Neues Theater in Halle: So war die Premiere von "Bornholmer Straße"

Von Kai Agthe 16.11.2015, 16:27
Auch nervlich an der Grenze: Till Schmidt, Elke Richter, Joachim Unger, Hagen Ritschel, Paul Simon, Karl-Fred Müller als Oberstleutnant Harald Jäger und Hilmar Eichhorn als Major Peter Arndt in „Bornholmer Straße“ (v. l.)
Auch nervlich an der Grenze: Till Schmidt, Elke Richter, Joachim Unger, Hagen Ritschel, Paul Simon, Karl-Fred Müller als Oberstleutnant Harald Jäger und Hilmar Eichhorn als Major Peter Arndt in „Bornholmer Straße“ (v. l.) dpa Lizenz

Halle (Saale) - „Weltgeschichtliche Tatsachen“, so Karl Marx, ereignen sich stets zweimal: zuerst als Tragödie, dann als Farce. Beides zusammen ergibt in der Kunst eine Tragikomödie. Eine solche ist auch der Film „Bornholmer Straße“ von Christian Schwochow, der am 5. November 2014, wenige Tage vor dem 25. Jubiläum der Maueröffnung, erstmals zu sehen war. Eine Bühnenfassung der „Bornholmer Straße“ von Jörg Steinberg, der auch Regie führt, feierte jetzt am Neuen Theater in Halle ihre Premiere.

Es ist die Geschichte des Grenzoffiziers Harald Jäger (in Film und Stück: Harald Schäfer), der von Ereignissen des 9. Novembers 1989 überrollt und am Ende des Tages die Grenze öffnen wird. Als Diensthabender an der Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße in Ost-Berlin werden er und seine Untergebenen Zeugen, wie sich Günter Schabowski auf einer im TV übertragenen Pressekonferenz bei dem Versuch zu erklären, wann DDR-Bürgern die unbürokratische ständige Ausreise in den Westen ermöglicht werde, um Kopf und Kragen redet.

„Bis zum letzten Blutstropfen“

„Unverzüglich“ und „sofort“ trete die Regelung in Kraft, sagt das verwirrte Politbüro-Mitglied. Die DDR-Bürger verstehen ihn richtig falsch, ignorieren also den Hinweis auf die „ständige Ausreise“ und machen sich auf den Weg zur Grenze, um mal West-Berlin zu besuchen und dann wieder in ihren vertrauten grauen Osten zurückzukehren.

Sie sammeln sich am Grenzübergang Bornholmer Straße. Harald Schäfer (Fred-Karl Müller) steht der stetig wachsenden Zahl von Menschen auch deshalb hilflos gegenüber, weil ihm sein Vorgesetzter Oberst Kummer (Peer-Uwe Teska) keinen Befehl erteilt, da auch die DDR-Regierung schweigt. Schäfer, von allen politbürokratischen Geistern verlassen, muss die Situation irgendwie retten. Der zeitgeschichtliche Rest ist bekannt: Der Schlagbaum geht auf und die DDR Monate später unter.

Karl-Fred Müller spielt diesen Schäfer als einen zwischen militärischem Gehorsam und menschlicher Anteilnahme hin und her gerissenen Offizier, der sich vor allem gegenüber Hauptmann Schönhammer (Hagen Ritschel) behaupten muss. Der Fanatiker verlangt, dass der Grenzübergang „bis zum letzten Blutstropfen“ gegen „die Provokateure“ gehalten werden müsse. Auch der Beifall am Ende bewies, dass diese beiden Figuren die stärksten Charaktere des Stücks sind. Das ganze Gegenteil von Schönhammer ist Major Arndt (Hilmar Eichhorn, der auch im Film mitwirkt): Wie die meisten Offiziere, ist er nicht willens und in der Lage ohne Befehl oder mit Waffengewalt zu agieren.

Welthistorischer Augenblick am 9. November

Aber auch der echte Hund, der Hexe heißt, hat seine Sache gut gemacht. Denn das Tier ist der erste „Grenzverletzer“ an diesem 9. November. Oberleutnant Rotermund (Till Schmidt) lässt ihm so viel Zuneigung zuteilwerden, wie er für das Publikum niemals hätte aufbringen können. Dem erklärte er eingangs preußisch-zackig, mit sächsischem Akzent und Folie auf dem Polylux das DDR-Grenzregime.

Viel Beifall für die Inszenierung. Nachdem der verhallt war, betrat NT-Intendant Matthias Brenner die nunmehr verwaisten Grenzanlagen (Bühne: Nicolaus-Johannes Heyse), um jenen Mann zu begrüßen, ohne den sich die Grenze nicht geöffnet hätte, zumindest nicht am 9. November: Harald Jäger, der an jenem noch im Rückblick so unglaublich anmutenden Abend am Grenzübergang Bornholmer Straße das Kommando führte und mit einem einzigen Befehl für einen welthistorischen Augenblick sorgte.

Anschließend bat der NT-Hausherr noch um Spenden für einen „Welcome-Treff“ für Flüchtlinge und Einheimische, der am 6. Dezember in der ehemaligen Theatrale eröffnen soll und noch dringend finanzieller Unterstützung bedarf. Ziel sei es, 3.000 Euro für Mobiliar zu sammeln. Der Förderverein des NT, so Brenner, sei mit gutem Beispiel vorangegangen und habe 500 Euro zur Verfügung gestellt. (mz)

Nächste Vorstellungen: 18.11., 1. und 10.12. jeweils 19.30 Uhr