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Künstlerin Künstlerin: Bettina Reich macht alles mit Links

Von iris stein 16.12.2011, 19:33

Halle (Saale)/MZ. - Der Blick vom Arbeitstisch geht über ein Stück Wiese und Gärten, eine Handvoll alter und neuer Häuser bis hinauf zur Kirche. Die Sonne meint es gut und so ist sogar die kahl-braune Winterlandschaft nicht ohne Reiz. Aber hat Bettina Reich Zeit, in die Gegend zu schauen und sich an deren Schönheit zu erfreuen? Hat sie nicht. Was sie hat, ist nämlich Disziplin und ohne die, verrät sie, geht es nicht in ihrem Beruf.

Bettina Reich ist - ja, was eigentlich? Zeichnerin, Malerin, Illustratorin, Künstlerin - wohl von jedem etwas und noch viel mehr. Sie ist die Frau hinter den Rätseln, ließe sich salopp formulieren. Doch wer sie näher kennenlernt und sich mit ihren Arbeiten beschäftigt, der entdeckt neben der Handwerkerin eine sensible Künstlerin, die die Zwischentöne liebt.

Die Rätsel, die hat sicher mancher schon gesehen, der aufmerksam in dieser Zeitung blättert. Auf der Kinderseite ist Bettina Reich seit einigen Jahren präsent mit ihren fröhlich-frechen Strichmännchen. Doch die Kinderrätsel, die sie sich ausdenkt und zu Papier bringt, sind nur ein Teil dessen, was ihr Spektrum ausmacht.

Der Arbeitstisch der gebürtigen Hallenserin steht heute in Zwenkau bei Leipzig, genauer gesagt steht er direkt vor dem Küchenfenster, denn Bettina Reich arbeitet zu Hause. Das erklärt, warum es Disziplin braucht. "Von 9 bis 16 Uhr sitze ich konsequent an meinen Aufträgen", sagt die zweifache Mutter, "anders würde ich mein Pensum nicht bewältigen können." Manchmal schafft sie das dennoch nicht, denn wie das so ist mit künstlerischer Arbeit: mal geht es nur mühsam voran und dann wieder sprühen die Ideen nur so, so dass sie auch abends die Küche noch einmal zum Atelier umfunktioniert. Kein Problem, denn einen Fernseher, der ablenken könnte, gibt es ohnehin nicht.

Wie sie zum Zeichnen gekommen ist? "Ich bin wohl aus der Art geschlagen", lacht die junge Frau mit dem Kurzhaarschnitt. "Das heißt, meine Oma soll eine kreative Frau gewesen sein. Sie hat früher fotografiert. Von mir heißt es, ich sei mit dem Stift in der Hand geboren worden." Malen war in der Kindheit, die sie in Nebra verbrachte, ihre Lieblingsbeschäftigung. Dennoch kam sie nicht auf die Idee, das Zeichnen zum Beruf zu machen. Restaurator schwebte ihr vor und so lernte sie bei einem Malermeister in Quedlinburg.

Eine gute Schule, weiß sie heute, brachte ihr der Meister doch auch die Technik des Vergoldens bei, lehrte sie Schatten und Perspektiven darstellen und jede Menge Handwerk. Dennoch: Auch Restaurator wurde sie nicht, sondern es folgte ein Praktikum als Theatermalerin in Leipzig. Dann kam die Wende. Bettina Reich war jung genug, sich noch einmal anders zu orientieren und begann 1990 eine Lehre als Keramikerin. Sie schob den Meister nach und machte sich selbstständig. Bis 2006 hatte sie in Naumburg und Taucha kleine Ateliers, in denen sie ihre Arbeiten verkaufte. Nur für den Ton leben? So eine Keramikerin war sie nicht, dass wusste sie. Und so kam die Pause 2006 als Sohn Moritz geboren wurde gerade recht.

Der berühmte Zufall brachte sie auf die Idee mit dem Zeichnen. Für einen Kunden entwarf sie ein Logo und ahnte: Das könnte es sein. Ihr Mann ermutigte sie, und so versuchte sie es. Doch wie wird man Illustratorin? Bettina Reich wurde es vor allem mit viel Fleiß. Auf zeichnerischem Gebiet war sie Autodidaktin. Sie stellte eine Mappe zusammen und bewarb sich mit ihren Arbeiten bei verschiedenen Buchverlagen. Mit Erfolg, denn schon bald kamen erste Aufträge. Vor allem in Sachkundebüchern des Klett-Verlages kann man ihrer Handschrift begegnen. Zur Zeit entwirft sie einen "Bücherwurm". Mit den ersten Ideen für diese Figur gewann sie die Ausschreibung, nun folgt die Feinarbeit, die Darstellung des Wurms in den verschiedensten Situationen.

An ihre Anfänge als Zeichnerin wird sie dabei übrigens jeden Arbeitstag erinnert. Ihre erste Zeichnung hat sie sozusagen tagtäglich unter den Händen - sie ziert das Mousepad. Den Computer nutzt sie nicht zum Zeichnen, doch er ist unerlässlich für die Verbindung zur Außenwelt. Das ist das Einzige, was sie mitunter an ihrem Beruf bedauert, "dass ich doch sehr viel allein arbeite. Mir fehlt der Kontakt zu Kollegen, der Austausch untereinander doch schon hin und wieder". Ansonsten schmeißt sie den Laden mit links - wenn diese Bemerkung erlaubt ist - Bettina Reich ist Linkshänderin.

Was sie mit Talent begann, untersetzt die 40-Jährige längst mit Kursen und Seminaren, um ihren Stil und ihr Können zu vervollkommnen. Nach Vorgaben zu illustrieren ist heute ihr Handwerk. Dass sie dafür ein Händchen hat, verhalf ihr zu einem besonders lukrativen Auftrag: Sie zeichnet den "Maus"-Kalender. Schon im vergangenen Jahr, in diesem und auch für das nächste. Nein, die berühmte Fernseh-Maus selbst ist tabu, "aber wie etwas funktioniert, was die Maus erklärt, das stelle ich künstlerisch dar", macht sie deutlich. Versuchsanordnungen, Schemata - das ist ihre Welt. Nicht zuletzt deshalb hat sie für den cbj-Verlag spannende Experimente in der Reihe "Frag doch mal . . . die Maus!" ins Bild gesetzt. Alles genau und verständlich und dennoch nicht ohne Spaß zu Papier zu bringen, dieses Metier beherrscht sie. "Ich möchte unterhalten", bekennt sie, "und ich mag hintersinnigen Humor."

Das ist vor allem dann zu spüren, wenn es um die "Kür" geht, die Bilder, die sie aus Lust und Leidenschaft malt. Wer ihre so genannten Patchwork-Bilder genauer anschaut, wird merken, dass es sich dabei um "Memorys" handelt. Was auf den ersten Blick wie ein buntes Durcheinander erscheint, entpuppt sich auf den zweiten als Anordnung von Paaren. Da finden sich etwa Mann und Frau, Mond und Sterne, Boot und Leuchtturm. Dass Bettina Reich Kreise und Spiralen faszinieren, ist kaum zu übersehen - und übt auf manchen Betrachter geradezu magische Anziehungskraft aus. Das erhofft sie sich auch für die Ausstellung in der Lehmhaus Galerie in Zwenkau, in der sie zur Zeit vertreten ist.

Doch es geht auf 16 Uhr - die Disziplin erlegt sie sich nicht nur selbst auf, auch ihre Kinder fordern sie ein. Zum inzwischen fast sechsjährigen Moritz gesellte sich vor zwei Jahren noch Luise. Gut möglich, dass beide dereinst Schulbücher in die Hand nehmen, die von Mutti illustriert sind. Und vielleicht sogar einmal ein Bilderbuch, Bettina Reichs großer Traum. Doch für heute klappt sie ihre Zeichenmappe erstmal zu.