Kunst Kunst: Der gusseiserne Harz
Halle (Saale)/MZ. - Ein Aufsehen erregender Schwerlasttransport schiebt sich im Jahr 1823 durch den Harz: Zwölf Pferde stemmen sich mit all ihrer Kraft nach vorn. Die Ketten des Gespanns klirren, Achsen knarren, übertönt von den lauten Rufen der Männer, die ihre Tiere antreiben. Der Herzog von Braunschweig hat einen zwölf Meter hohen gusseisernen Obelisken bestellt, zur Erinnerung an die Gefallenen der Befreiungskriege gegen Napoleon. Das tonnenschwere Monument, das da vom Hüttenwerk in Zorge durch die Harzwälder nach Braunschweig auf den Löwenwall gehievt wurde, ist anschauliches Beispiel für eine Kunstrichtung, die im 19. Jahrhundert ihre Blüte erlebte. Vier Museen in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen widmen ihr bis Anfang nächsten Jahres eine gemeinsame Ausstellung: "Der Eiserne Harz".
"Eisenkunstguss ist ein Phänomen, das es neu zu entdecken gilt", sagt Dr. Christian Juranek, Geschäftsführer der Schloss Wernigerode GmbH. Er hat mit einer Gruppe von Wissenschaftlern rund zwei Jahre lang die Ausstellung vorbereitet, die dieses Phänomen nicht nur erklären will, sondern selbst eines ist: Das Schloss Wernigerode zeigt mit dem Oberharzer Bergwerksmuseum Clausthal-Zellerfeld, dem Südniedersächsischen Eisenhüttenmuseum auf der Königshütte Bad Lauterberg und dem Hütten- und Technikmuseum Ilsenburg den "Eisernen Harz" in seiner ganzen Vielfalt. Rund 400 Exponate von mehr als 25 privaten und öffentlichen Leihgebern werden präsentiert. "Man nimmt den Eisenkunstguss nicht bewusst wahr, obwohl er uns doch umgibt", so Juranek. Balkongitter, Treppen, Brücken, Gartenbänke und -tische, Monumente, Figuren für den Kaminsims und allerhand Nippes - es gibt eine schier unendliche Fülle, und das ist für den Museumsdirektor "wie ein Schlüssel ins 19. Jahrhundert". Der Besucher begegnet faszinierenden Objekten, findet Kostbarkeiten und Alltagsgegenstände, Kunst und Kurioses.
Eisen verlieh der Wirtschaft vor 200 Jahren einen enormen Schub. Das Jahrhundert der Industriellen Revolution setzte ein. Eisen ergoss sich in alle Lebensbereiche, auch in die Kunst. Wenngleich die Hütten damit zunächst einen ganz anderen Zweck verfolgten: "Eisenhütten, die in der Lage waren, filigranen Eisenkunstguss präzise herzustellen, traute man auch die für die Herstellung von Maschinenbauteilen notwendige Präzision zu", erklärt Christian Juranek. Entsprechend extravagant waren manche Stücke; der Ilsenburger Hüttenmeister Eduard Schott etwa entwarf mit viel Feinsinn einen zwar 100 Kilo schweren, aber äußerst filigranen Wandschrank, der seinesgleichen sucht. Für den Wernigeröder Museumschef eines der Top-Exponate in seinem Haus: "Der kommt in den nächsten 50 Jahren nicht mehr hierher", sagt er über die Leihgabe der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf.
"Der Eiserne Harz" ermöglicht einen Blick auf die Entwicklung des Eisenkunstgusses, der seine große Zeit nicht zuletzt dem Hildesheimer Silberfund verdankt. Denn von ausgesuchten Teilen des 1868 entdeckten römischen Tafelsilbers wurden erschwingliche Repliken hergestellt. Berühmtestes Stück der 2 000 Jahre alten Originale ist die Minerva-Schale, die in einer Nachbildung aus der Eisenhütte Mägdesprung in der Ausstellung zu sehen ist. Das Unternehmen gelangte bald zu Weltruf. Sein Modelleur Johann Heinrich Kureck entwarf Mitte der 1870er Jahre feinste Tierfiguren nach den Fabeln des französischen Dichters La Fontaine, die in ihrer Lebendigkeit bezaubern. Kureck schuf aber nicht nur Kostbarkeiten für den Kaminsims. Im Schloss Wernigerode wird unter anderem das detailreiche Modell eines Lindwurms gezeigt, der als Wasserspeier in einem Brunnen im Schlosspark von Ballenstedt (Landkreis Harz) meterhohe Fontänen spuckt.
Die Ausstellung zeigt aber auch, welche politische Wirkung der Eisenkunstguss haben konnte. So stellte die Eisenhütte in Rübeland so genannte Stereotypen her: Ganze Buchseiten wurden als Druckvorlagen in Eisen gegossen. "Hohe Auflagen herzustellen, war jetzt viel billiger", erklärt Christian Juranek. "Das war auch ein Beitrag zur Alphabetisierung der Bevölkerung."