Hallescher Fotokünstler Jochen Ehmke: Auch mit 80 reist er immer noch um die Welt

Halle - Beim Hausbesuch in Halle wähnt man sich zunächst im falschen Stockwerk. Denn der drahtige Mann, der die Wohnungstür öffnet, wirkt nicht so, als würde er im Spätherbst sein 80. Lebensjahr vollenden. Dieser Eindruck, dass man es bei Jochen Ehmke mit einem Menschen voller Vitalität zu tun hat, der zwar 80 wird, aber wie 60 wirkt, bestätigt sich im Gespräch. „Ich kann nicht lange ruhig sitzen und nichts tun“, sagt er.
Ob er noch regelmäßig fotografiere? „Jeden Tag und so lange ich kann, also hoffentlich bis zum letzten Atemzug - die Fotografie ist meine Leidenschaft“, bekennt der 1936 in Chemnitz geborene Lichtbildner, dem in seiner sächsischen Heimat anlässlich des bevorstehenden runden Geburtstages derzeit eine Ausstellung im Wasserschloss Klaffenbach gewidmet ist.
Diese Rückkehr erfüllt ihn mit Genugtuung. Das Renaissance-Schloss habe er, so Ehmke, als Junge von Ferne gesehen, wenn er Kühe gehütet habe. Das war im Zweiten Weltkrieg, als er mit der Familie Chemnitz wegen des Bombenkrieges 1945 habe verlassen müssen. Mehr als 70 Jahre später stellt der Fotokünstler nun im Schloss auf zwei Etagen seine Fotos aus.
Das hätte sich Ehmke 1945 wohl kaum träumen lassen. Es war aber ein langer Weg nach Klaffenbach: Nach einer Lehrer als Dreher studierte er Werkstofftechnik und wissenschaftliche Fotografie in Berlin, war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bergakademie Freiberg und im VEB Aluminiumfolie Merseburg tätig, ehe er 1982 die Existenz als freier Fotograf wählte.
Lebenswirklichkeit in der DDR
Weil Bilder etwas Zweidimensionales sind, er die Räume in Klaffenbach auch mit Dreidimensionalem füllen wollte, lud er seinen Künstlerkollegen Andreas Richter aus Dobis (Saalekreis) ein, ausgewählte Werke seiner skurrilen Papierkunst auszustellen. „Fluchtversuch und andere Merkwürdigkeiten“ haben die beiden Freunde die Schau betitelt. Jochen Ehmke zeigt neben Menschenbildern Fotos von Orten in aller Welt, die für ihn magisch sind, sowie Aufnahmen von jenen Merkwürdigkeiten, die die Pflanzenwelt zu bieten hat.
Ebenfalls aus Anlass seines 80. Geburtstages wird die Willi-Sitte-Galerie in Merseburg Ehmke ab November mit einer Schau würdigen. Für die hat er fünf Fotografenkollegen gebeten, je eine Wand mit ihren Bildern zu gestalten.
Bereits 2011 hatte er in der Sitte-Galerie jene Porträts von DDR-Menschen gezeigt, die auch in dem von der Kritik gelobten Bildband „Knochenjob und Datschenglück“ eingegangen sind. Schwarz-Weiß-Fotos, die zwischen 1970 und 1995 in Merseburg und Umgebung entstanden und vor allem einen ungeschminkten Einblick in die Lebenswirklichkeit der Menschen im Honecker-Staat geben: von Tagebau-Arbeitern bis hin zu Ausreisewilligen. Eine Sichtweise, die ausgestellt oder publiziert zu sehen, den politisch Gewaltigen nicht behagte.
Die Schau „Merseburg mit unseren Augen“, in der Ehmke 1982 auch Fotos mit den Schattenseiten der Domstadt zeigte, wurde, kaum dass sie eröffnet war, von der SED-Politbürokratie wieder geschlossen. Nostalgisch wird Jochen Ehmke also nicht, wenn er auf die DDR blickt: „Vor allem das Reiseverbot nehme ich den damals Regierenden noch heute übel.“ Was er in der DDR versäumte, hat er in den vergangenen 25 Jahren nachgeholt. Mehrfach im Jahr ist er mit seiner Frau, die seine Foto-Passion teilt, im In- und Ausland unterwegs.
Die DDR ist Geschichte, der Schwarz-Weiß-Fotografie ist Jochen Ehmke aber treu geblieben. Vor 1989 eine rein praktische Erwägung, habe ihn nach der Wende die neue fotografische Farbigkeit nicht überzeugen können. „Farbe bringt zusätzliche Informationen in das Bild, die ich nicht brauchen kann“, erklärt Jochen Ehmke seinen künstlerischen Grundsatz.
Menschen seines Jahrgangs
Ein anderes Prinzip ist inhaltlicher Art: „Ich fotografiere immer in Projekten, mit Einzelbildern kann ich nichts anfangen“, sagt Ehmke und zeigt anhand von Alben, Bildbänden und Katalogen, was das bedeutet. Als er 75 wurde, hat er etwa unter dem Titel „Meinesgleichen“ Menschen in Halle fotografiert, die ebenfalls im Jahr 1936 geboren wurden. Neben einem Porträt vor schwarzem Hintergrund hat er ein weiteres aufgenommen, das die Abgelichteten bei einer für sie typischen Handlung zeigen.
Eine besondere Leidenschaft pflegt Jochen Ehmke in den Museen dieser Welt: „Ich fotografiere gern Menschen vor berühmten Gemälden. Es ist spannend zu sehen, wie sich Menschen vor Bildern bewegen.“ Im Pariser Musée d’Orsay bannte er zwei Frauen aufs Bild, die zwar vor Gustav Courbets Gemälde „Ursprung der Welt“ (1866) stehen, aber ins Gespräch vertieft sind. Im Museum of Modern Art in New York sind es drei Besucher, die Jasper Johns’ Gemälde „The Flag“ (1954) so betrachten, als zeige es Aliens und nicht das Abbild der US-Nationalflagge.
Als Jochen Ehmke in Kindertagen bei Klaffenbach Kühe hütete, bekam er als Honorar ein Butterbrot. Heute arbeitet ein freier Fotograf, der von Aufträgen und Ausstellungen lebt, zu ähnlichen Konditionen. Für den sächsischen Hallenser gilt aber dennoch: „Das Fotografieren ist mein Leben.“
„Fluchtversuch und andere Merkwürdigkeiten“: Jochen Ehmke und Andreas Richter, Chemnitz, Wasserschloss Klaffenbach, bis 16. Oktober, Di-Fr 11-17 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr
(mz)

