1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Das Schicksal der Clara Immerwahr: Sabine Friedrichs Szenen einer Ehe

Das Schicksal der Clara Immerwahr: Sabine Friedrichs Szenen einer Ehe

Von Susanna Gilbert-Sättele 29.10.2007, 12:37

München/dpa. - Fritz Haber (1868-1934) ist bekannt - als Chemie-Nobelpreisträger ebenso wie als glühender deutscher Patriot und Vater der Giftgaswaffen. An seine Frau Clara Immerwahr hingegen erinnert so gut wie nichts mehr, und dies, obwohl sie 1900 als erste Frau in Breslau mit einer physikalisch-chemischen Arbeit promovierte und sich aus Protest gegen ihren Mann und seine Entwicklung von Giftgaswaffen 1915 das Leben nahm.

Das Drama dieser intelligenten, geradlinigen und dennoch hilflosen Frau hat Sabine Friedrich in dem Roman «Immerwahr» in die Erinnerung zurück geholt. Sie zeichnet das Porträt einer Forscherin, die von den gesellschaftlichen Schranken und der Besessenheit ihres autoritären Mannes erdrückt wird.

Am letzten Abend ihres Lebens lässt Clara in ihrem Zimmer die Jahre Revue passieren, während ihr Mann unten im Salon seine Beförderung und den ersten deutschen Einsatz von Giftgas an der Weltkriegsfront bei Ypern feiert. Jener Mann, den sie ein Jahr nach ihrer Promotion und stolz auf ihre Arbeit als unbezahlte Laborassistentin geheiratet hat. In der Hoffnung, gemeinsam mit dem aufstrebenden Wissenschaftler Großes zum Wohle der Menschheit zu erreichen. Und sie erinnert sich, wie schnell sich diese Hoffnung als Illusion erwies.

Denn kaum war sie unter der Haube, entpuppte sich der Gemahl als gewöhnlicher Patriarch. Ihre Bitte, sie nach der Geburt des Sohnes Hermann wieder im Labor mitarbeiten zu lassen, wehrt er ab: «Was, wenn Hermann krank wurde? Kleine Kinder wurden doch dauernd krank ... Aber wenn Clara nicht kontinuierlich im Laboratorium arbeiten konnte, dann ließ sie es doch besser ganz. Dann brachte sie nur Unruhe in die Sache.» Sie denkt auch daran, wie oft sie ihn gebeten hat, seine Versuche mit Phosgen und Chlorgas zu beenden, die er nach Beginn des Ersten Weltkriegs sofort aufgenommen hatte. Denn sie waren für sie eine «Perversion der Wissenschaft».

Friedrichs Roman versteht es, das Interesse an den Figuren und ihren Beweggründen zu wecken. Sprachlich bemüht sie sich sehr um Authentizität, doch ihr im rhythmischen Stakkato gehaltener Stil als Ausdruck der aus dem Gleichgewicht geratenen Frau lässt den Leser so manches Mal ins Stolpern geraten. Gleichwohl weckt dieses Psychogramm Lust auf mehr aus der Feder der Coburgerin, die hier wieder einmal veranschaulicht, wie die große Politik in die kleine Welt der Menschen hinein wirkt. Mit viel Gespür sucht sie nach Themen, deren exemplarischer Charakter Aktualität gewährleistet. Claras Konflikt zwischen beruflichen Ambitionen und privater Anpassung wird auch heute noch, wenngleich in abgeschwächter Form, erlebt.

Sabine Friedrich

Immerwahr

dtv, München

217 S., Euro 14,00

ISBN 978-3-4232-4610-1