Bertolt Brecht Bertolt Brecht : Uwe Kolbes Kritik des Kritiker-Darstellers

Halle - Hätte es die DDR auch ohne Brecht gegeben? Selbstverständlich. Aber es hätte es die DDR ohne Brecht auch so lange gegeben? Das ist eine andere Frage. Es ist die Frage, die Uwe Kolbe stellt.
Keine Frage von ungefähr. Der 1957, also ein Jahr nach dem Tod des Dichterkollegen Brecht in Ostberlin geborene Schriftsteller, der heute zu den bedeutendsten deutschsprachigen Autoren seiner Generation gehört, hatte 2014 den Roman „Die Lüge“ veröffentlicht. Ein Buch aus jenem künstlerisch-intellektuellen DDR-Milieu, das bis zuletzt bestens von den staatlichen Verhältnissen lebte, die es zwar halblaut kritisierte, aber doch nie grundsätzlich in Frage stellte.
Womit hatte man es damals zu tun? Mit welcher Art von Taktik? Während seiner Lesereisen zum Roman „Die Lüge“, beim gesprächsweisen öffentlichen Nachdenken über das von ihm vorgeführte Roman-Personal, geschah es Kolbe immer wieder, dass er zur Erklärung einiger Verhaltensweisen von DDR-Intellektuellen nur einen Namen nennen musste und alle wussten bescheid: Brecht.
Dass so etwas möglich ist, zeugt einerseits von offenbar bekannten Verhaltensmustern, andererseits von der seltenen Tiefenwirkung eines Werkes. Noch wer kein einziges Schauspiel von Brecht gesehen, kein Gedicht von ihm vor Mitschülern rezitiert hat, kennt doch einige Formeln des Autors, der mit der „Dreigroschenoper“ zu Ruhm gelangte und dem stalinistischen Lehrstück „Die Maßnahme“ berüchtigt wurde. Hat man ja irgendwann gehört: Dass der Haifisch Zähne hat. Das Fressen vor der Moral kommt. Der Regen von oben nach unten fällt. Das Einfache schwer zu machen sei - wie der Kommunismus angeblich. Brecht, schreibt Kolbe, „ist so sehr bei jedem, der ihm einmal begegnet ist, dass er ihn mehr oder minder bewusst ein Leben lang im kleinen Handgepäck mit sich führen wird.“
Dichter im Handgepäck
Uwe Kolbe sichtet nun dieses Handgepäck. Er schaut sich näher an, was ihm da in der DDR buchstäblich angehängt wurde. Wie er das macht, ist anregend. Dass er das macht, überfällig. Eben deshalb, weil an Brecht-kritischen Büchern ja kein Mangel herrscht. Aber doch an Streitschriften aus der Mitte der von Brecht sozusagen unmittelbar Betroffenen, aus jener DDR-Gesellschaft, die aufgezogen wurde mit der volkspädagogischen Denkungsart des Schriftstellers, der kein Parteikommunist war, sich aber so verhielt. Der, 1948 heimgekehrt aus dem Exil, sich ein Theater schenken ließ in einem Staat, der auf die Gefolgschaft einer vielfach privilegierten Künstler-Elite angewiesen war. Ohne diese Folgsamen wäre der SED-Machterhalt nicht so einfach möglich gewesen. Man hatte nicht viel mehr zu bieten als Worte, Worte, Worte.
Denen geht Kolbe, der keine akademische Studie, sondern den Bericht eines „von Brecht Betroffenen“ liefert, im Fall dieses Dichters poetisch, politisch und gesellschaftlich auf den Grund. Überzeugend, wenn auch mit einigen Wiederholungen, zeigt er, wie sich Brecht bei der Sprache Luthers und des Volkes bediente, wie er das Einfach-Sagen zur Perfektion trieb, das Ineinander von Ohrwurm-Poesie und Trivialphilosophie. Durchweg ist Brechts Lyrik eingängig wie ein Schlager (der Refrain ist wichtig) oder feierlich wie ein Psalm. So stellte sich eine Vertrautheit er, die sich für den Leser auf die politischen Inhalte übertrug, die gar nicht vertraut waren - und keinesfalls selbstverständlich.
Alte Sprache neuen Typs
Schon vor seinem 30. Lebensjahr, schreibt Kolbe, habe Brecht die von ihm geformte altneue Dichtersprache den Zwecken der Partei neuen Typs von Lenin ausgeliefert. Dabei ließ der Autor, der gern im asiatischen Habitus des kritischen Weisen einherschritt, den eigenen kritischen Verstand zuverlässig vor den Trägern der kommunistischen und stalinistischen Doktrin aussetzen. Er schwieg zu den Morden im Zuge des Großen Terrors. Er schwieg zu den Gulag-Opfern unter den Kollegen, deren Tod hierzulande bis heute als eine Art lässlicher Kollateralschaden der Weltläufte hingenommen wird. Die Kritik des Kritiker-Darstellers Brecht an den Verhältnissen war nie tiefgreifend, öffentlich schon gar nicht. Er abstrahierte die Konflikte weg.
Das festzustellen ist nicht im Einzelnen, aber aufs Ganze gesehen neu. Das Ganze ist die DDR und deren Nachleben. Kolbe entdeckt im Brechtschen Wegsehen und -reden eine Haltung, die sich in der DDR-Literatur voll entfaltete, diesem „in seinen gesellschaftlichen Absichten und deren Nutzen vergeblichen Zweig der deutschen Literatur“.
Der attestiert Kolbe den Gestus der „aufbegehrenden Unterwerfung“, die willkürlich mit Fakten umspringt. Kolbe belegt das mit Proben aus dem Werk von Kollegen wie Wolf Biermann, Volker Braun und Heiner Müller. Mit Zitaten, die das zu Kritisierende jeweils kunstvoll unsichtbar machen. Dass das so locker gelang, stützte den Staat. „Dieses Parteiergreifen für die DDR hing mit Brecht zusammen“, wird Heiner Müller zitiert. „Brecht war die Legitimation, warum man für die DDR sein konnte. Das war ganz wichtig. Weil Brecht da war, mußte man dableiben. Damit gab es einen Grund, das System grundsätzlich zu akzeptieren.“
Kolbe begreift das Wegbrechen der liberalen geistigen Traditionen im Osten Deutschlands nach 1945 als ein Verhängnis. Und mehr als das. „Es gab nach dem Zusammenbruch Hitlerdeutschlands und seiner Verbündeten nichts, gar nichts, was totalitäre Herrschaft noch irgendwo legitimierte.“ So klare Sätze liest man selten. Sie machen dieses Buch zu einem Ereignis. (mz)
