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Beruf & Karriere Wie werden die Herausforderungen in der neuen Arbeitswelt gelöst?

30.01.2023, 14:42
Globalisierung, digitale Transformation und demografischer Wandel: Die Arbeitswelt ist im Umbruch.
Globalisierung, digitale Transformation und demografischer Wandel: Die Arbeitswelt ist im Umbruch. Bild: Pexels.com, Edmond Dantés

Das immer mehr Menschen im Homeoffice arbeiten ist aktuell die auffälligste Veränderung im Arbeitsleben, aber eben nur eine: Unter der Überschrift „Arbeit geben – Arbeit nehmen“ ging es diesen Monat in München auf einer hochkarätig besetzten Veranstaltung um die grundsätzliche Bedeutung von Arbeitsverhältnissen. Eingeladen hatte unter anderem die Connect Neustadt GmbH, die mehr als 5.000 Menschen erfolgreich als Arbeitnehmer vermittelt und 7.500 weitere beruflich qualifiziert hat.

Begriffe wie Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Arbeitsmarkt, Heimarbeit, Facharbeiter sind Alltag und werden mit großer Selbstverständlichkeit genutzt. Auf der Konferenz in München wurden diese scheinbar so selbstverständlichen Begriffe zwischen Experten und mehr als einhundert Teilnehmern diskutiert. Wer gibt denn Arbeit? Und wer nimmt sie? Was bedeutet es, dass die Arbeit mit Marktmechanismen konfrontiert ist? Wer sind die Handelnden in diesem Feld und welche Verantwortung haben sie? Anhand von zwei sehr unterschiedlichen Beispielen und einem wissenschaftlichen Vortrag ging es um die große Frage, die der berühmte Wirtschaftswissenschaftler Adam Smith vor mehr als 200 Jahren gestellt hat: Wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen dem eigenen Interesse und dem der Gesellschaft, wenn es um Arbeit und Arbeitsverhältnisse geht?

Inzwischen hat sich die Arbeitswelt bereits massiv verändert, bevor es überhaupt zum Beschäftigungsverhältnis kommt. Denn bei großen Unternehmen ist es üblich geworden, dass eine erste Auswahl unter Bewerbern für eine Position nicht mehr von einem Menschen getroffen wird. Eine künstliche Intelligenz, also ein Computer, sortiert die Bewerbungsunterlagen nach geeignet und nicht geeignet. Das hört sich zunächst nach einer möglicherweise besonders fairen Auswahl an, weil der Computer keine Emotionen und keine Vorurteile kennt. Das ist so nicht richtig, machte Diplom-Statistikerin Katharina Schüller, Gründerin von STATE-UP in ihrem Vortrag deutlich: „Die erheblichen Unterschiede in der Genauigkeit der Klassifizierung dunklerer Frauen, hellerer Frauen, dunklerer Männer und hellerer Männer in geschlechtsspezifischen Klassifizierungssystemen erfordern dringende Aufmerksamkeit, wenn kommerzielle Unternehmen wirklich faire, transparente und rechenschaftspflichtige Gesichtsanalysealgorithmen entwickeln sollen“.

Laut Katharina Schüler, die auch zu den Gebieten Datenethik und Datenkultur forscht, müssen in Unternehmen, die in solch sensiblen Bereichen wie eine KI-basierte Beurteilung von Menschen bei den zuständigen Mitarbeitenden sehr gute technische, kognitive, metakognitive und sozio- emotionale Kompetenzen vorhanden sein. Und: Eine softwarebasierte Analyse muss als Fundament universelle moralische Werte berücksichtigen. Ohne tieferes Wissen über Datenanalyse und Künstliche Intelligenz sei dies kaum möglich. Das Generieren, Verarbeiten, Analysieren, und Präsentieren bedeutungsvoller Informationen aus Daten erfordert, so die Expertin, dass das „Entwickeln, Nutzen, Anwenden von KI und verwandten Werkzeugen und Strategien“ im Unternehmen möglich ist. In diesen Bereichen unterstützt ihr 2003 in München gegründetes Statistik- und Analyseunternehmen Kunden und war bereits für die Hälfte aller DAX-Unternehmen tätig.

Katharina Schüler machte an einem weiteren Beispiel deutlich, dass Diskriminierung nicht nur Menschen vorbehalten ist. Bei einer Sprachanalyse wird die Aussage "Das ist nicht korrekt. ... Behalten Sie dies bitte für die Zukunft im Hinterkopf" als männlich eingeordnet: Nämlich als dominant, selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Eine Aussage in derselben Situation („Leider haben Sie die falsche Antwort gewählt. Es gibt eine bessere Lösung. ... Ich bin mir jedoch sicher, dass Sie sich dessen inzwischen bewusst sind. Also, mach dir keine Sorgen") als „warm und weiblich“.  Bei einem Dialog zwischen Computer und Menschen, so Schüler, werden der männlichen Stimme von dem Programm automatisch Eigenschaften wie Vertrauenswürdigkeit und Genauigkeit in einem höheren Maß zugesprochen als weiblichen Stimmen. Dies führt dazu, dass „Frauen wegen der Stimmverarbeitung bei Videokonferenzen benachteiligt“ sind. Der Grund: Tools wie Zoom, Skype oder Teams übertragen nicht alle Anteile der Sprache und dünnen Frequenzen aufgrund des hohen Datenvolumens aus. Das Ergebnis zeigte, dass dabei Männer- und Frauenstimmen nicht gleichbehandelt werden.

Start-Ups garantieren einen genderneutralen Umgang aller Mitarbeitenden und achten in aller Regel sensibel auf das Thema Gleichbehandlung. Blickt man auf die Arbeitsbelastung in vielen jungen Unternehmen, so Amelie Binder, Gründerin von CargoKite, sei aber die Frage „Warum tust Du Dir das an?“ naheliegend, unabhängig von der Geschlechteridentität. Die Herausforderung, die sie mit ihrem Team lösen will, ist die Entwicklung von kleinen Containerschiffen, die von großen Drachensegeln angetrieben werden. Sicher kein 08/15 Job.

Die meisten Menschen könnten mit einer 35-Stundenwoche in einem traditionellen Unternehmen mehr verdienen als bei einem Newcomer, bestätigte Amelie Binder in ihrem Vortrag. Andere Argumente als das Gehalt sind ihrer Meinung nach wichtiger: Die Möglichkeit, schnell Verantwortung zu übernehmen, die für jeden wahrnehmbare Entwicklung von Produkt und Firma und die Vielfältigkeit der Aufgaben. In ihrem Unternehmen CargoKite kommt noch ein Aspekt hinzu, der in den vergangenen Jahren immer wichtiger wurde: Containerschiffe sind nicht gerade umweltfreundlich. Das Münchner Start-up will mit seiner Idee den Seegüterverkehr nachhaltiger machen. Auch diese Mission überzeugt talentierte Bewerber und Bewerberinnen bei dem Unternehmen anzuheuern.

Eingebettet wurden die beiden Vorträge in einen wirtschaftswissenschaftlichen Zusammenhang. Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher, Präsident der Münchner Hochschule für Philosophie, erinnerte daran, dass die Frage des berühmten Ökonom Adam Smith immer noch aktuell ist: „ Wie ist eine gesellschaftliche Interaktion freier Individien in arbeitsteiligen Gesellschaften möglich, in der das private Interesse des einzelnen Bürgers untrennbar mit dem Gemeinwohl verbunden und von diesem abhängig ist?“ Die Antwort, die die beiden Unternehmen STATE UP und CargoKit geben, könnte dem 1790 verstorbenen Smith gefallen: Der ethisch korrekte Umgang mit sensiblen Daten und das klimaneutrale Transportieren von Fracht per Schiff dient der privaten Zukunft der Unternehmenschefinnen, der der Mitarbeitenden und ist ohne Zweifel ein Beitrag zum Gemeinwohl der Gesellschaft.