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Historischer Tag Stasi-Akten jetzt im Bundesarchiv, Sonderbehörde schließt

Kritiker befürchten, dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zur Marginalie wird. Die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen gibt es nicht mehr. Wie geht es weiter?

Von dpa 17.06.2021, 18:27
Roland Jahn war rund zehn Jahre lang Leiter der Stasiunterlagenbehörde. Die Bundesbehörde wird nun aufgelöst.
Roland Jahn war rund zehn Jahre lang Leiter der Stasiunterlagenbehörde. Die Bundesbehörde wird nun aufgelöst. Christoph Soeder/dpa/Archivbild

Berlin - Nach knapp 30 Jahren ist die Stasi-Unterlagen-Behörde Geschichte. Die Einrichtung mit dem riesigen Archiv geretteter Dokumente galt als Errungenschaft der friedlichen Revolution und wurde nun geschlossen.

Für Millionen Stasi-Akten sowie Tausende Fotos und Tonträger der DDR-Staatssicherheit ist seit Donnerstag das Bundesarchiv zuständig. Die Überführung der Akten sollte am Abend (19.00 Uhr) mit einem Festakt in Berlin gewürdigt werden.

Erwartet wurden dazu im Zeughaushof des Deutschen Historischen Museums Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), der erste Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und Altbundespräsident Joachim Gauck, sowie der Präsident des Bundesarchivs, Michael Hollmann. Nach rund zehn Jahren im Amt sollte dort auch der letzte Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, offiziell verabschiedet werden.

Kulturstaatsministerin Grütters wertete es laut vorab verbreiteter Mitteilung als politisches Signal, dass die Akten am Tag des DDR-Volksaufstandes vor 68 Jahren offiziell überführt wurden. Unter dem Dach des Bundesarchivs sollen die Dokumente als Teil des gesamtstaatlichen Gedächtnisses dauerhaft bewahrt werden.

Die Akten bleiben laut Grütters unverzichtbar, „als Möglichkeit, das Unrecht der SED-Diktatur zur Sprache (zu) bringen, aber auch als Aufforderung zur differenzierten Auseinandersetzung mit Leid und Verantwortung“. Grütters betonte: „Diese Zeugnisse der SED-Diktatur vor der Vernichtung bewahrt zu haben, ist bleibendes Verdienst und Vermächtnis der DDR-Bürgerrechtsbewegung.“

Einsichtsmöglichkeit bleibt bestehen

Bei der Stasi-Unterlagen-Behörde wurden allein knapp 3,5 Millionen Anträge von Menschen gestellt, die persönlich einen Blick in Papiere werfen wollten, die die Stasi heimlich über sie anlegte. Bei der Bundesbehörde gingen seit ihrem Bestehen insgesamt 7,3 Millionen Ersuchen und Anträge ein, auch von Behörden und Wissenschaftlern.

Der Bundestag hatte beschlossen, dass das Gesetz für die Stasi-Unterlagen weiter gilt. Die Akten bleiben demnach offen, Auskünfte werden weiter erteilt. Die rund 1300 Mitarbeiter der bisherigen Jahn-Behörde wurden vom Bundesarchiv übernommen. Das Archiv bleibt aber am historischen Ort der einstigen Stasi-Zentrale in Berlin sowie an den 13 ostdeutschen Standorten. Das Amt von Jahn wurde mit der neuen Struktur abgeschafft.

Neu hingegen ist die Stelle eines SED-Opferbeauftragten, der direkt beim Bundestag angesiedelt ist. Dafür gewählt wurde die einstige DDR-Oppositionelle Evelyn Zupke. Sie begann am Donnerstag ihr Arbeit. Als erstes traf sie sich mit der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, wie Vereinsvorsitzender Dieter Dombrowski mitteilte. Es habe bereits einen „sehr konstruktiven Austausch“ gegeben, eine enge Zusammenarbeit im Interesse der Opfer sei vereinbart worden.

Auch Kritik an neuer Struktur

Der frühere DDR-Oppositionelle Jahn (67) hatte im dpa-Gespräch gesagt, die Aufarbeitung der Vergangenheit könne mit einer gesamtdeutsch angelegten Struktur weitergehen. Die Stasi-Akten könnten bei einem Dialog der Generationen helfen. „Wir sind den Opfern gerecht geworden, und wir haben die Brücke in die nächste Generation gebaut.“ Jahn hatte zusammen mit Hollmann das Konzept zur Überführung der Akten erarbeitet. Technik, Ressourcen und Kompetenzen sollten gebündelt werden. Viele der Papiere sind in einem schlechten Zustand.

Kritiker befürchten hingegen eine Abwicklung von Geschichte. Die Amtsvorgängerin von Jahn, Marianne Birthler, warf diesem im „Tagesspiegel“ mangelndes Interesse an Bildung und Forschung vor.

Der Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15. Januar sieht „Webfehler“ bei der neuen Struktur. „Ein Archiv tut sich schwer, aktive Aufarbeitung, das heißt, auch Bildungsaufgaben zu übernehmen, die gesetzlich vorgegeben sind“, sagte Vereinsvorsitzender Christian Booß. „Wir müssen jetzt das Beste aus der Lage machen.“ Die Behörde habe aber beim Elitenwechsel und bei demokratischen Umgestaltungen im Osten geholfen.

Im Gespräch mit der „Zeit“ meinte der bisherige Bundesbeauftragte Jahn, weil die Behörde immerfort Stasi-Tätigkeiten von DDR-Bürgern enthüllte, sei bisweilen der Eindruck entstanden, die DDR sei eine Stasi-Diktatur gewesen. Dabei sei die Stasi ein Machtmittel der SED gewesen. „Und so konnte die Verantwortung für das, was in der DDR geschehen ist, immer schön weggeschoben werden“, sagte Jahn.

Zur Stasi-Hinterlassenschaft gehören allein mehr als 111 Kilometer Schriftgut. Zudem lagern bis heute in mehr als 15.000 Säcken zerrissene und noch nicht erschlossene Papiere. Die in großem Stil geplante, virtuelle Rekonstruktion kam bislang nicht zustande. 2019 rekonstruierten laut Jahn Mitarbeiter per Hand den Inhalt von sieben Säcken. Wie das Rekonstruktions-Projekt weitergeht, ist unklar.