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Porträt Wer sind die Friedensnobelpreisträger?

Dass der Friedensnobelpreis in diesem Jahr nach Kiew gehen könnte, war bereits vermutet worden. Nun zeichnet das Nobelkomitee zudem russische und belarussische Menschenrechtler aus. Aber wer sind die Ausgezeichneten?

Von Hannah Wagner, Steffen Trumpf, Ulf Mauder und Andreas Stein, dpa Aktualisiert: 08.10.2022, 09:13
Ein Bild des belarussischen Friedensnobelpreisträgers Bjaljazki.
Ein Bild des belarussischen Friedensnobelpreisträgers Bjaljazki. Rodrigo Freitas/NTB Scanpix/dpa

Moskau/Kiew/Minsk - Inmitten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geht der Friedensnobelpreis in diesem Jahr an Menschenrechtsorganisationen aus beiden Ländern sowie an einen inhaftierten belarussischen Anwalt. Alle Preisträger eint: Sie treten ein für Frieden und Bürgerrechte - und gegen die verbündeten Machtapparate in Moskau und Minsk.

Die Entscheidung zur Preisvergabe an Memorial aus Russland, das ukrainische Center for Civil Liberties und den in Belarus inhaftierten Ales Bjaljazki wurde auch vor dem Hintergrund seit mehr als sieben Monaten andauernden russischen Kriegs gegen das Nachbarland Ukraine getroffen: „Es ist auch eine Botschaft, dass der Krieg enden muss“, sagte die Vorsitzende des Nobelkomitees, Berit Reiss-Andersen. Eine starke Gesellschaft verhindere diese Art von Entwicklungen.

Mit der Auszeichnung für das Center for Civil Liberties sendet das norwegische Nobelkomitee ein wichtiges Signal der Unterstützung in die angegriffene Ukraine. Die 2007 gegründete Organisation bezeichnet sich selbst als einer der führenden Akteure bei der Bildung der öffentlichen Meinung in dem osteuropäischen Land, dessen Bevölkerung spätestens seit 2014 in großen Teilen laut auf eine Abkehr von Russland und eine Ausrichtung nach Westen pocht.

Nach den Maidan-Protesten und dem Sturz der damaligen von Moskau unterstützten Regierung machten die Aktivisten des Center for Civil Liberties unter anderem auf Menschenrechtsverstöße auf der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim und anderen von Russland kontrollierten Gebieten aufmerksam. Seit dem Einmarsch russischer Truppen Ende Februar dieses Jahres setzen sie sich insbesondere auch für die Freilassung ukrainischer Kriegsgefangener ein. Die Organisation veranstaltet unter anderem Seminare zu Menschenrechten und arbeitet mit daran, ukrainische Gesetze an internationale Normen anzugleichen.

Viele Jahre haben die Bürgerrechtler bei Memorial auf diese Auszeichnung gewartet, Jahr um Jahr äußerten sie sich enttäuscht. Nun kam die lang erhoffte Nachricht aus Oslo ausgerechnet in einem Moment, als die Menschenrechtler auch am Freitag wieder vor Gericht kämpften gegen die Folgen der Auflösung ihrer Organisation. Der russische Staat versuche, sich die Gebäude und anderes Eigentum von Memorial einzuverleiben, teilte die Organisation mit.

„Was? Memorial? Unser Memorial? Wie das denn, ist doch aufgelöst“, sagte Gründungsmitglied Swetlana Gannuschkina zur Auszeichnung. Die Auszeichnung komme zwar spät, „aber zu spät ist es dafür nie“, sagte die 80-Jährige der dpa in Moskau. Die Strukturen und die Projekte gebe es auch noch. Sie würden weiter geführt. Dafür werde Geld gebraucht, fügte sie hinzu. „Das ist eine große Anerkennung für diejenigen Menschen in Russland, die diesen furchtbaren Krieg gegen unseren Nachbarn Ukraine nicht unterstützen“, sagte die mit vielen Preisen geehrte Mathematikerin, die vom Nobelkomitee auch namentlich erwähnt wurde. „Es gibt in Russland eine riesige Bereitschaft und enormes Engagement für Flüchtlinge aus der Ukraine. Diese Hilfsbereitschaft darf nicht vergessen werden.“ Das zeige abseits von gefährlichen Protesten, dass jeder etwas tun könne.

Die international bekannte Organisation wurde 2021 auf Anweisung der Behörden aufgelöst, weil sie gegen Gesetze verstoßen haben soll. Memorial lehnt es bis heute ab, den umstrittenen Titel „ausländischer Agent“ zu tragen, weil dabei jene, die für die Rechte von Menschen kämpften, als Spione stigmatisiert würden. Die Ende der 1980er Jahre gegründete Organisation setzte sich auch für politisch Verfolgte und Gefangene und für die Verfolgung staatlicher Verbrechen ein.

Der russische Oppositionelle Leonid Wolkow, ein Mitarbeiter des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny, gratulierte zum Preis und bezeichnete Memorial als wichtigste Menschenrechtsorganisation des Landes, die akribisch wertvolle Arbeit leiste.

Der Belarusse Ales Bjaljazki dürfte die frohe Kunde von seiner Auszeichnung selbst noch gar nicht vernommen haben. Seit mehr als einem Jahr sitzt der 60 Jahre alte Anwalt in einem Gefängnis in Minsk. Die von ihm gegründete Menschenrechtsorganisation Wesna haben die autoritären Behörden der Ex-Sowjetrepublik als „extremistisch“ verboten.

Mit Bjaljazki ehrt das Nobelkomitee einen Mann, der sich jahrzehntelang für Freiheit und Bürgerrechte in seiner Heimat eingesetzt hat. Die Komitee-Vorsitzende Reiss-Andersen äußerte Sorge um Bjaljazki, der unter sehr harten Bedingungen inhaftiert sei. „Wir beten dafür, dass sich dieser Preis nicht negativ auf ihn auswirken wird, aber wir hoffen, dass er seine Moral stärken wird.“

Spätestens seit dem Sommer 2020 ist Bjaljazki auch international bekannt: Gemeinsam mit Vertretern seiner Organisation dokumentierte er nach der als gefälscht eingestuften Präsidentenwahl die oft brutalen Festnahmen von Kritikern. Hunderttausende Belarussen gingen damals gegen den als „letzten Diktator Europas“ kritisierten Langzeit-Machthaber Alexander Lukaschenko auf die Straßen. Zehntausende wurden vorübergehend festgenommen, Hunderte verletzt und mehrere getötet. Bis heute sitzen Menschenrechtlern zufolge noch viele Lukaschenko-Gegner in Haft - darunter Bjaljazki selbst.

Die in die EU geflohene belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja nannte die Entscheidung aus Oslo „großartig“. Auf Telegram schrieb sie: „Bjaljazki ist der Stolz der Belarussen. Nun ist das auf der ganzen Welt bekannt.“ Für Bjaljazkis Frau Natalja Pintschuk kam die Nachricht überraschend. „Ich verspüre jetzt natürlich einen großen Stolz“, sagte sie. „Ich habe vor, ihm ein Telegram zu schicken und ihm alles zu erzählen.“