MZ-Serie MZ-Serie: Glückliche Generation?

Halle/MZ - Wenn Gudrun und Wolfgang Schlotte gemeinsam etwas unternehmen wollen, dann müssen sie zunächst einen Blick in ihre Terminkalender werfen. Zwar sind die beiden längst im Ruhestand - aber von einem beschaulichen Rentnerleben weit entfernt.
Gudrun Schlotte ist Juristin. Die heute 66-Jährige war Justiziarin in einem großen Wasserversorgungsunternehmen. Jetzt berät sie bei der Arbeiterwohlfahrt in Halle Hartz-IV-Empfänger. Ehrenamtlich. „Wir prüfen die Bescheide, formulieren gegebenenfalls Widersprüche und begleiten Betroffene auf dem Beschwerdeweg“, sagt die Hallenserin.
Aktiv ist Gudrun Schlotte außerdem bei der Bürgerstiftung Halle. „Max geht in die Oper“ heißt das Projekt, bei dem sie sich engagiert. Achtmal im Jahr am Wochenende besucht sie mit ihrem Patenkind Theater-Aufführungen, Konzerte, Museen, erschließt dem Kind eine Welt, in die es sonst kaum Einblicke erhalten würde.
Das sind dann die Tage, an denen Wolfgang Schlotte - je nach Jahreszeit - in den Garten oder in den Keller verschwindet und seinen Hobbys nachgeht - eben gärtnert, bastelt oder drechselt.
Den Geist in Schwung halten
Ehrenamtlich unterwegs ist der 68-Jährige in der Woche. Der ehemalige Polizist, der vor seiner Pensionierung in der Polizeidirektion Halle stellvertretender Dezernatsleiter Prävention war, gibt sein Wissen an andere Senioren weiter. Er geht - gemeinsam mit ehemaligen Kollegen - in Begegnungsstätten, Vereine oder Seniorengruppen und spricht dort darüber, wie es die ältere Generation vermeiden kann, Opfer einer Straftat zu werden. Das fängt bei der Sicherung der Wohnung an, geht über Trickbetrug bis hin zur Vorbeugung körperlicher Gewalt. Er warnt einerseits vor Leichtsinn, ist auf der anderen Seite bemüht, unbegründete Ängste zu nehmen. Gefragt seien diese Veranstaltungen. Und so kommt es, dass Wolfgang Schlotte recht häufig unterwegs ist. „Meine Frau und ich sehen uns jetzt fast seltener als zu der Zeit, in der wir noch berufstätig waren“, sagt er schmunzelnd.
Aber beide wollen gar kein anderes Leben. Die schlimmste Vorstellung sei, morgens aufzuwachen und zu überlegen, was mache ich denn heute, sagt Gudrun Schlotte. „Diese ehrenamtliche Tätigkeit ist ja auch wichtig, um im Alter nicht abzustumpfen und völlig abzuschalten“, fügt ihr Ehemann hinzu. Bevor er seine Termine wahrnehme, setze er sich mindestens einen halben Tag lang hin, frische sein Wissen noch einmal auf, baue neue Informationen ein, die er von seinem Revier bekommt. „Das hilft auch, den Geist in Schwung zu halten“, unterstreicht er.
Wenn das Ehepaar dann mal „Freizeit“ hat, gehört die ganz oft ihrem Mäxchen, dem Sohn der Tochter. Mit dem fast Sechsjährigen gehen die beiden gern auf Reisen. Aber auch ohne ihn sind sie häufiger unterwegs, leisten sich ein Premieren-Abo für die Oper und gehen auch gern mal mit Freunden essen. „Wir sind zufriedene Rentner“, sagt Gudrun Schlotte. „Und wir haben das Glück, nicht jeden Cent dreimal umdrehen zu müssen“, fügt Ehemann Wolfgang hinzu, ohne konkreter zu werden. Vielleicht zahle sich ja aus, „dass wir uns im fortgeschrittenen Alter noch einmal auf die Schulbank gesetzt haben, um nach der Wende im Beruf den Anschluss nicht zu verpassen“, meint er. „Dafür, dass wir jetzt eine gute Rente bekommen, haben wir auch was getan.“ Es klingt fast wie eine Entschuldigung. „Manchmal“, so sagt Gudrun Schlotte, „bin ich froh, dass ich schon so alt bin. Die Jugend steht unter enormen Leistungsdruck, viele bekommen nur noch befristete Arbeitsverträge, zittern sich von einem Job zum nächsten, verdienen wenig. Die können kaum noch planen.“
Ganz ähnlich drückt es Christian Fiedler aus, der viele Jahre lang den Seniorenrat der Stadt Halle geleitet hat und dessen Ehrenvorsitzender er bis heute ist. 80 bis 90 Prozent der jetzigen Rentner gehe es relativ gut, schätzt er ein. „Aber die künftigen Generationen, die nicht mehr so viele Arbeitsjahre vorweisen können, weil sie aus dem Berufsleben gedrängt worden sind oder nur Minijobs haben, die kriegen mal eine ganz geringe Rente“, sagt der 76-Jährige. Die jetzige Rentnergeneration sei eine ganz besonders glückliche. „Wir hatten Frieden, wir hatten Arbeit und die meisten haben jetzt eine Rente, die zum Leben reicht.“ Heutzutage würden ja sogar oft die Älteren ihre Kinder finanziell unterstützen. Früher sei es genau umgekehrt gewesen. Er spricht da aus eigener Erfahrung - denn einer der beiden Söhne ist arbeitslos.
Kleingarten und Bungalow in Seeburg
Gleichwohl hält er es für wichtig, dass es nach mehr als 20 Jahren deutscher Einheit endlich zu einer Angleichung der Renten kommt. „Durch die Rentenerhöhung um 3,29 Prozent zum 1. Juli geht es einen Schritt nach vorn - die Richtung stimmt. Aber die Angleichung ist immer noch nicht da“, sagt er. Es könne nicht von Einheit geredet werden, solange es noch solche Unterschiede gebe.
Christian Fiedler lebt mit seiner Frau Jutta am Stadtrand von Halle. Der promovierte Chemiker hat seine letzten Arbeitsjahre in der anwendungstechnischen Abteilung des Romonta-Werkes in Amsdorf (Saalekreis) verbracht. Seit dem Jahr 2000 ist er Rentner. Derzeit engagiert er sich im Seniorenbeirat der Halleschen Wohnungsgesellschaft, berät die dort Verantwortlichen bei der Gestaltung seniorengerechter Wohnungen. Seine Ehefrau Jutta ist noch beruflich aktiv. Die 70-jährige Pädagogin entwickelt für einen Verlag Schulbücher. Auch die Fiedlers können von ihrer Rente gut leben. Sie leisten sich Reisen, gehen aus. Und sie stecken viel Zeit und Arbeit in Kleingarten und Bungalow in Seeburg.
Christian Fiedler betont immer wieder, dem Großteil der jetzigen Rentnergeneration gehe es gut. Er räumt aber ein: „Es gibt auch heutzutage Armut unter den Älteren.“ Diese trifft häufig Alleinstehende. So wie Helga Berner. Die heute 68-Jährige hat in ihrem Leben zwei Berufe gelernt: Sekretärin und Schneiderin. Sie hat sieben Kindern das Leben geschenkt und zwischendurch immer voll gearbeitet. Heute erhält sie 640 Euro Rente (netto, also nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherung). Allein für die Miete muss die Hallenserin monatlich reichlich 400 Euro auf den Tisch legen. Von ihren Ex-Männern bekommt die zweimal Geschiedene keinen Cent. Zu DDR-Zeiten war ein Versorgungsausgleich nicht vorgesehen, worunter heute viele Frauen leiden.
„Ich muss mir genau überlegen, wofür ich Geld ausgebe“, sagt Helga Berner: Um gleich hinzuzufügen: „Ich bin genügsam.“ Dennoch würde sie gern mal verreisen, mal ins Theater gehen, selbst ein Friseurbesuch ist nicht ohne weiteres drin. Nicht zu reden von einer Reise zu ihren Kindern in Baden-Württemberg. Und es tut schon weh, den mittlerweile vier Enkeln „nicht viel schenken zu können“. Würde sie nicht zweimal in der Woche in einer Apotheke die Buchhaltung machen, sähe es noch schlechter aus. Dadurch bessert sie ihre Rente um etwa 100 Euro auf.
Helga Berner versinkt aber nicht im Selbstmitleid. Sie hat viele Schicksalschläge einstecken müssen - ihre jüngste Tochter starb mit sechs Jahren an einem Hirntumor. Und dennoch sagt sie: „Es gibt viele Menschen, die weitaus größere Not leiden.“ Deshalb engagiert sie sich ehrenamtlich in der Evangelischen Stadtmission, betreut zahlreiche Veranstaltungen. Dort fühlt sie sich aufgehoben. Gebraucht.
Gesundheit - sie ist das A und O im Alter
Aber es ist nicht immer nur fehlendes Geld, welches das Leben im Alter beschwerlich macht. Genauso schwierig wird es, wenn die Gesundheit nicht mehr mitspielt. Das ist bei den Reinhardts der Fall. Der Bergbau-Ingenieur Horst-Dieter Reinhardt war zu DDR-Zeiten Obersteiger in verschiedenen Mansfelder Schächten. Als diese dicht gemacht wurden, wechselte er ins Chemie-Kombinat Buna. Heute erhält der 85-jährige Mann etwa 2 000 Euro Rente (brutto). Von seiner Frau, die bereits 86 Jahre alt ist, kommen noch mal 300 Euro (brutto) hinzu.
Doch beide haben große gesundheitliche Probleme. Marianne Reinhardt ist vor einem Jahr gestürzt - sie kann kaum noch laufen und hat die Wohnung in der dritten Etage schon lange nicht mehr verlassen. Er pflegt sie - so gut er eben kann. Dabei hat er selbst vor kurzem ein neues Hüftgelenk bekommen und musste eine Augen-Operation über sich ergehen lassen. „Wir sind hier in der Wohnung, haben unseren Fernseher“, sagt Horst-Dieter Reinhardt. Die Schwiegertochter kümmert sich um die beiden.
1998 haben er und seine Frau die Wohnung am Rande von Halle-Neustadt gekauft. Heute bedauern sie, dass es im Haus keinen Fahrstuhl gibt. Damals schien das noch nicht wichtig zu sein.
Gesundheit - sie ist das A und O im Alter. Der Wunsch danach verbindet die Schlottes, Fiedlers, Berners und die Rudolphs. Krank und pflegebedürftig zu werden - das ist beim Blick in die Zukunft eine der größten Sorgen der heutigen Rentnergeneration.