Luftsicherheitsgesetz Luftsicherheitsgesetz: Politiker streiten über Abschuss entführter Flugzeuge

Berlin/dpa. - Schäubles Vorschlag für einen im Grundgesetz verankerten«Quasi-Verteidigungsfall» sei «unausgegoren, nicht wirklichdurchdacht und nicht realisierbar», sagte der innenpolitischeSprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, am Dienstagder dpa in Berlin. «Wir werden dem nicht zustimmen.» Die Grünenwarnten Schäuble vor einer «Lizenz zum Töten Unschuldiger». DeutlicheKritik am Vorhaben des Ministers kam auch von FDP und Linkspartei.Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) drohte mit einerneuen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Schäuble hatte in einem Gespräch mit der «Süddeutschen Zeitung»(Dienstag) die in seinem Ministerium «auf Fachebene» erarbeitetenPläne erläutert. Demnach sollen in einem «Quasi-Verteidigungsfall»die Regeln des Kriegsvölkerrechts gelten, etwa die Regeln des GenferAbkommens zum Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte. Dann sind nurAngriffe verboten, «die in keinem Verhältnis zu erwarteten konkretenund unmittelbaren militärischen Vorteilen stehen». Schäuble zufolgebleibt das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt, wenn zur Vermeidungeiner noch größeren Katastrophe der Abschuss eines entführtenFlugzeugs, also die Tötung von Passagieren, gesetzlich erlaubt wird.
Die Pläne für einen neuen Gesetzentwurf waren vor Weihnachten inUmrissen bekannt geworden. Damit soll das Luftsicherheitsgesetz, dasim Februar 2006 von Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt wordenwar, verfassungsgemäß gemacht werden.
«Das Grundgesetz kennt keinen Quasi-Verteidigungsfall», sagteWiefelspütz. «Wenn Herr Schäuble meint, ein anderes Verständnis vonLandesverteidigung in das Grundgesetz einführen zu können, dann wirddieser Versuch aussichtslos sein.» Am Begriff der Landesverteidigungsei mit der SPD nicht zu rütteln. Die Grenzen zwischenVerteidigungsfall und innerer Sicherheit dürfe man nicht verwischen.
Wiefelspütz verwies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.«Das Gericht verbietet den Abschuss eines von Terroristen entführtenFlugzeugs, wenn sich unschuldige Menschen an Bord befinden.» Andieses strikte Verbot seien die Verfassungsorgane und damit auch derGesetzgeber gebunden. «Wir können uns nicht darüber hinweg setzen undeinfach die Verfassung ändern.» Die SPD sei lediglich zu einer «sehrschmalen Grundgesetz-Änderung» bereit. So könne der Abschuss einesFlugzeugs allenfalls dann erlaubt werden, wenn sich an Bordausschließlich Terroristen befänden. Der SPD- VerteidigungsexperteRainer Arnold sagte mit Blick auf die Stimmung in seiner Fraktion:«Wir werden so langsam ärgerlich.»
Baum bezeichnete Schäubles Vorstoß als «eindeutigverfassungswidrig». Er sagte dem «Münchner Merkur» (Mittwoch):«Sollten diese Pläne wirklich Gesetz werden, gehen wir sofort erneutvor das Bundesverfassungsgericht.» Im Februar 2006 hatte Karlsruheden Verfassungsbeschwerden der früheren FDP-Spitzenpolitiker Baum undBurkhard Hirsch sowie weiterer vier Kläger stattgegeben.
Der Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, sagte der«Netzeitung», Schäuble versuche das Verfassungsgericht «zuhintergehen». Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sprach im Sender «N24»von einer «im Kern verfassungswidrigen Verfassungsänderung». Dieinnenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gisela Piltz, warnte voreiner «Militarisierung der Innenpolitik». «Schäubles Spiel mit demKriegsrecht ist ein Spiel mit dem Feuer.» Die FDP-RechtspolitikerinSabine Leutheusser-Schnarrenberger warf Schäuble im «Kölner Stadt-Anzeiger» (Mittwoch) einen «miesen Trick» vor. Der rechtspolitischeSprecher der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, sprach von einer«hartnäckigen Ignoranz» Schäubles gegenüber Karlsruhe.