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Hessen-WahlHessen-Wahl: Enges Rennen – Hauchdünne Mehrheit für Schwarz-Grün

Wiesbaden - Gespannt verfolgt von der gesamten Bundesrepublik haben die Hessen gewählt – und sich vor allem von CDU (27 Prozent) und SPD (19,8 Prozent) abgewendet: Beide frühere Volksparteien büßten gegenüber den vorigen Landtagswahlen von 2013 rund zehn Prozentpunkte ...

Von Steven Geyer 29.10.2018, 04:30
Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD, l.), Tarek Al-Wazir (Grüne, M.) und Volker Bouffier (CDU, r.)
Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD, l.), Tarek Al-Wazir (Grüne, M.) und Volker Bouffier (CDU, r.) POOL

Gespannt verfolgt von der gesamten Bundesrepublik haben die Hessen gewählt – und sich vor allem von CDU (27 Prozent) und SPD (19,8 Prozent) abgewendet: Beide frühere Volksparteien büßten gegenüber den vorigen Landtagswahlen von 2013 rund zehn Prozentpunkte ein.

Gewinner sind dagegen die Grünen (19,8 Prozent), die ihren derzeitigen Umfragen-Höhenflug nun in Stimmen umwandeln und ihr bislang bestes Ergebnis in Hessen erringen konnten – nahezu auf Augenhöhe mit der SPD, für die die Ökopartei damit auch bundesweit zur echten Konkurrenz wird.

AfD erreicht Wahlziel

Außerdem erreichte die AfD (13,1 Prozent) ihr Wahlziel, mit einem klar zweistelligen Ergebnis in den Landtag einzuziehen und damit neben Bundes- und Europarlament auch in allen deutschen Landesparlamenten zu sitzen.

Durch den Einzug von Linkspartei (6,3 Prozent) und FDP (7,5 Prozent), die es ebenfalls über die Fünf-Prozent-Hürde schafften, gibt es in Wiesbaden für die nächsten fünf Jahre nun ein Parlament mit sechs Fraktionen.

Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis aus der Nacht erreicht Schwarz-Grün damit doch noch eine hauchdünne Mehrheit. Doch es sind auch noch andere Bündnisse mit ebenso knapper Mehrheit möglich - etwa eine Ampel aus Grünen, SPD und FDP oder ein schwarz-rotes Bündnis aus CDU und SPD.

Bemerkenswert ist, dass gegenüber der Landtagswahl vor fünf Jahren sowohl die Regierungspartei von Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), als auch Oppositionsführer SPD unter Spitzenkandidat und Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel so schwere Verluste hinnehmen mussten, im Gegensatz dazu aber die Grünen als bisheriger Juniorpartner Bouffiers mit ihrem Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir deutlich zulegten.

Nicht nur das spricht dafür, dass die Hessen ihre Landtagswahl auch dafür nutzten, über die Regierungspolitik in der Bundeshauptstadt abzustimmen.

Urnengang als Protest

Auch in Befragungen hatten viele Wahlberechtigte angegeben, zwar mit der Lage ihres Bundeslandes und der Arbeit der Landesregierung zufrieden gewesen zu sein – aber den Urnengang auch für ihren Protest gegen die große Koalition in Berlin nutzen zu wollen.

Eigentlich waren die rund 4,4 Millionen Wahlberechtigen in Hessen an diesem Sonntag zwar nur aufgerufen, über die normalerweise 110 Abgeordneten im hessischen Parlament in Wiesbaden zu entscheiden.

Doch bereits bei der Landtagswahl in Bayern vor zwei Wochen waren vor allem die einstigen Volksparteien Union und SPD abgestraft worden und hatten – wie auch viele Beobachter und Bundespolitiker – einen Großteil der Ursachen im Bund gesehen.

CDU sucht Schuld in Berlin

Das räumten am Sonntagabend auch Spitzenpolitiker von CDU, SPD und Grünen ein: Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) sagte, dass der Union in Hessen sicherlich die Streitereien der vergangenen Wochen und Monate innerhalb der großen Koalition in Berlin geschadet hätten. Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil lobte im ARD-Fernsehen den Wahlkampf der Hessen-SPD und kritisierte das „Erscheinungsbild“ der schwarz-roten Regierungskoalition. Grünen-Bundeschefin Annalena Baerbock sagte, ihrer Partei dürfte neben den eigenen Themen auch das schlechte Bild der Koalition im Bund geholfen habe.

Dass hinter dem Hessen-Ergebnis auch ein Denkzettel für Berlin steckt, wiegt umso schwerer, als dass nach der Bayern-Wahl sowohl die Spitzen von CDU/CSU, als auch die der Sozialdemokraten aus Rücksicht auf die hessischen Wahlkämpfer noch keine Konsequenzen gezogen hatten.

Diese wurden nun vor allem für die SPD erwartet.

Bis zuletzt hatten die Sozialdemokraten in Wiesbaden und Hessen zittern müssen, ob die Grünen es tatsächlich schaffen würden, stärker zu werden als sie – und ob die SPD zumindest nicht unter die 20-Prozent-Marke fallen würde.

Vor dem Wahlgang am Sonntag waren viele inner- und außerhalb der Partei davon ausgegangen, dass in einem der beiden Fälle, auf jedem Fall aber wenn beides eintritt, es zu taktischen und personellen Debatten kommen würde.

Diese könnten sich um die Parteivorsitzende Nahles drehen, zu der sich jedoch keine aussichtsreiche Konkurrenz um den SPD-Führungsposten zeigte. Die folgenschwereren Diskussionen könnten sich deshalb um die Frage drehen, ob es der SPD schadet, im Bund weiter als Juniorpartner in der großen Koalition mitzuregieren. Bereits nach dem einstelligen Ergebnis der Genossen in Bayern hatte es Stimmen aus der Partei gegeben, die den Ausstieg aus dem schwarz-roten Bündnis in Berlin gefordert hatten.

Heikle Lage für Angela Merkel

Für Bundeskanzlerin und CDU-Bundeschefin Angela Merkel sind die Entwicklungen nach der Hessen-Wahl deshalb in zweierlei Sinne heikel: Allzu großer Frust über die anhaltenden Verluste der Union in den Ländern sowie im Bund – wo sie in einer Umfrage vom Sonntag gerade auf ein Allzeit-Tief von 24 Prozent fiel – könnten dazu führen, dass ihr die angestrebte Wiederwahl zur Parteivorsitzenden beim Bundesparteitag im Dezember in Hamburg verhagelt wird.

Und selbst wenn sich Volker Bouffier nun dank gestärkter Grüne erneut in eine schwarz-grüne Landesregierung retten kann und sich die Union auch im Bund dadurch stabilisiert, könnte Merkel der Ausstieg der SPD aus der Regierung in Berlin drohen. Dass die CDU bei einer Neuwahl dann noch einmal Merkel zur Spitzenkandidatin macht, gilt vielen als unwahrscheinlich.

In Hessen können die Bürger am Sonntag auch über eine Reform der hessischen Landesverfassung entscheiden. Diese ist im Jahr 1946 in Kraft getreten und enthält unter anderem noch die Todesstrafe, die durch das Grundgesetz aber längst außer Kraft gesetzt ist. Diese Passage soll nun gestrichen werden. Insgesamt geht es um 15 Änderungen.

Grund zum Jubeln: Anhänger der Grünen auf einer Wahlparty
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dpa
Konnte das Ergebnis seiner Partei im Alleingang an der Wahlurne nicht retten: Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier
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AP