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Fall Sami A. Fall Sami A.: Abschiebung hätte so nicht stattfinden dürfen - Was wusste Seehofer

Von Kordula Doerfler 16.07.2018, 14:23
Der Ex-Leibwächter des getöteten Al-Kaida-Chefs bin Laden ist aus Deutschland abgeschoben worden. Nun soll er zurückgeholt werden. (Symbolbild)
Der Ex-Leibwächter des getöteten Al-Kaida-Chefs bin Laden ist aus Deutschland abgeschoben worden. Nun soll er zurückgeholt werden. (Symbolbild) dpa

Berlin - Am Freitagmorgen um 6.34 hob ein gecharterter Lear-Jet vom Flughafen Düsseldorf in Richtung Tunis ab. An Bord befand sich der als islamistischer Gefährder eingestufte vermutliche Leibwächter des einstigen Al-Kaida-Chefs Osama bin-Laden, Sami A., und vier Beamte der Bundespolizei.

Wenige Stunden später übergaben die deutschen Polizisten Sami A. den tunesischen Behörden, und das, obwohl das zuständige Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen am Tag zuvor verfügt hatte, dass der Mann nicht abgeschoben werden darf.

Gericht hätte die Entscheidung treffen müssen

Regierungssprecher Steffen Seibert stellte am Montag klar, dass das gelten müsse, was die Gerichte entscheiden. „Das ist für unseren Rechtsstaat konstitutiv“, so Seibert. Auch eine Sprecherin von Innenminister Horst Seehofer schloss sich dem an. „So gesehen, hätte die Abschiebung nicht stattfinden dürfen“, sagte sie. Gleichzeitig verwies sie aber auf die zuständigen Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen.

Ähnlich hatte sich am Sonntag bereits Justizministerin Katarina Barley (SPD) geäußert. „Wenn Behörden sich aussuchen, welchen Richterspruch sie befolgen und welchen nicht, ist das das Ende des Rechtsstaates“, so die Ministerin.
Die Sprecherin Seehofers sagte am Montag auch, dass der Innenminister bereits am vergangenen Mittwoch, also dem 11. Juli, über die geplante Abschiebung von Sami A. zwei Tage später informiert wurde.

Die Hausleitung sei von der Bundespolizei über die Möglichkeit, dass A. bereits am 13. Juli auf einen Flieger gesetzt werden könnte, informiert worden. „Diese Informationen lagen auch dem Minister vor.“ Allerdings hätten auch weitere Termine für den Abschiebeflug im Raum gestanden. Wie am Montag bekannt wurde, hat das Land Nordrhein-Westfalen schon im Juni die Bundespolizei gebeten, einen „Rückführungsflug mit Sicherheitsbegleitung“ vorzubereiten. Zuerst sollte Sami A. einer Mitteilung des Präsidiums vom Montag zufolge auf einem Linienflug abgeschoben werden, dies wurde aber verworfen, weil mit Widerstand zu rechnen gewesen sei.

Anfang vergangener Woche stellten die Behörden einen neuen Antrag zur Bereitstellung eines Charter-Flugzeugs. „Das Bundespolizeipräsidium bestätigte dem Land Nordrhein-Westfalen am gleichen Tag den angefragten Flug für den 13. Juli 2018“, hieß es in der Mitteilung weiter. 

In Tunesien droht Foltergefahr

Das Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen entschied allerdings am Donnerstagabend, dass Sami A. nicht abgeschoben werden dürfe, weil ihm in Tunesien Foltergefahr drohe. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) kam dieser Beschluss aber erst an, als Sami A. bereits in der Luft war.

Nach der vollzogenen Abschiebung verfügte das Gericht, dass der Mann nach Deutschland zurückgeholt werden müsse. Diese sei rechtswidrig und verletze grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien. Daran ändert nach Sicht des Gerichts auch nichts, dass eine andere Kammer am vergangenen Mittwoch die Androhung der Abschiebung von Sami A. für rechtmäßig erklärt hatte, weil Sami A. als abgelehnter Asylbewerber mit einer Duldung grundsätzlich ausreisepflichtig sei.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat das Vorgehen seiner Landesregierung in dem Fall hingegen verteidigt. „Wir als Politiker haben nach Recht und Gesetz zu entschieden, das hat die Landesregierung gemacht“, sagte Laschet. „Und ich denke, im Ergebnis können wir froh sein, dass der Gefährder nicht mehr in Deutschland ist.“ Das Flüchtlingsministerium in NRW will nun gegen die Rückführung vor der nächst höheren Instanz Widerspruch einlegen, doch selbst, wenn es Recht bekommen sollte, ist es sehr zweifelhaft, dass Sami A. nach Deutschland zurückgebracht wird, weil die tunesischen Behörden selbst gegen ihn ermitteln.

Keine Einflussnahme auf einzelne Verfahrensschritte

Abschiebungen sind grundsätzlich Ländersache, allerdings hat Seehofer immer wieder klar gemacht, dass die schnelle Abschiebung von rechtskräftig verurteilten Straftätern und Gefährdern für ihn oberste Priorität hat. Dem Bundesinnenminister unterstehen sowohl die Bundespolizei als auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). 

Auch seine Sprecherin bestätigte am Montag, dass es ihm politisch wichtig gewesen sei, dass eine Rückführung von Sami A. „zeitnah“ erfolgt. Eine Einflussnahme auf einzelne Verfahrensschritte habe es aber nicht gegeben. Um solche Fälle zu beschleunigen, will Seehofer in seinem Ministerium eine Task Force einrichten, so steht es in seinem „Masterplan Migration“. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte Ende Juni im Bundestag, man könne sich nicht damit abfinden, „dass sich Leibwächter von bin Laden über Jahre hier in Deutschland aufhalten“.

Rund 760 Leute werden als islamistische Gefährder eingestuft

In Deutschland leben derzeit laut Angaben des BMI rund 760 Personen, die als islamistische Gefährder eingestuft werden. Zwei Drittel von ihnen sind entweder deutsche Staatsbürger oder Bürger eines EU-Landes. Auch der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, der ebenfalls aus Tunesien stammte, galt als Gefährder, eine Abschiebung scheiterte aber.

Im BMI verweist man darauf, dass im vergangenen Jahr sich die Zahl der abgeschobenen Gefährder auf über 90 erhöht hat. Die Union drängt auch darauf, dass Tunesien, Marokko und Algerien bald als sichere Herkunftsländer eingestuft werden, in der SPD gibt es dagegen Widerstand.

Um eine Abschiebung von Sami A. streiten die Behörden seit Jahren. Das Bamf hob das Abschiebeverbot gegen den Mann bereits im Jahr 2014 zum ersten Mal auf, weil sich die Menschenrechtslage in Tunesien verbessert habe, die Justiz sah das aber anders. Sami A. kam 1997 nach Deutschland, um zu studieren, wenige Jahre später soll er in Afghanistan eine militärische Ausbildung erhalten und zur Leibgarde bin Ladens gehört haben. Wieder zurück in Deutschland, trat A. als salafistischer Prediger auf, die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung konnte ihm aber nie rechtskräftig nachgewiesen werden.